Anna Siemsen

Geboren:
18.01.1882
Gestorben:
22.01.1951

Die Pädagogin und Sozialdemokratin Anna Siemsen wurde von Kurt Tucholsky als „eine der klügsten Frauen Europas“ (zitiert in Schoppmann, Claudia (Hrsg.): Im Fluchtgepäck die Sprache. Deutschsprachige Schriftstellerinnen im Exil. Frankfurt/Main 1995, S. 101) bezeichnet. Aufgewachsen in einer evangelischen Pfarrersfamilie studierte sie Germanistik, Philosophie und Altphilologie in mehreren Städten außerhalb Preußens, da es noch im Jahre 1905 für Frauen nicht möglich war, innerhalb der preußischen Staatsgrenzen zu studieren. Vier Jahre später schloss Anna Siemsen ihre Studien mit Promotion und Staatsexamen ab und begann zu unterrichten.

Zeit ihres Lebens setzte sie sich für die Rechte der Mädchen, Frauen und Mütter ein. Vehement forderte sie die Gleichstellung und gesellschaftliche Akzeptanz der Frauenerwerbsarbeit und engagierte sich für eine umfangreiche und gleichwertige Mädchenbildung. Das Erlebnis des Ersten Weltkrieges ließ sie zur Pazifistin werden, ununterbrochen arbeitete sie pädagogisch-politisch und hielt als Mitglied im „Bund entschiedener Schulreformer“ und im „Verein sozialistischer Lehrer und Lehrerinnen“ Vorträge für die Teilnehmenden. Ab 1921 hatte sie das Amt der Oberschulrätin in Berlin inne, bereits zwei Jahre später erhielt sie eine außerordentliche Professur für Pädagogik an der Universität Jena.

Anna Siemsen wollte mithilfe ihrer Position das Schulwesen grundlegend reformieren, sie stieß jedoch auf Widerstände und konnte keine weitreichenden Erfolge erzielen. Sie referierte für die „Frauenliga für Frieden und Freiheit“, war in der „Pazifistischen Liga für Menschenrechte“ aktiv und engagierte sich für eine umfassende Bildungsarbeit in den Arbeiterorganisationen. Weil sie sich mit dem Heidelberger Professor Emil Julius Gumbel solidarisierte und Mitunterzeichnerin gegen seine Amtsenthebung war, entzog man ihr 1932 die Lehrberechtigung, denn in Thüringen regierte bereits ein nationalsozialistischer Innenminister. Ihrer Zuständigkeiten beraubt widmete sich Anna Siemsen nun vermehrt dem Schreiben.

Im März 1933 emigrierte sie in die Schweiz, dort heiratete sie Walter Vollenweider und konnte so dem Arbeitsverbot für Emigrant:innen entgehen. In den Jahren 1934/1935 schloss sie ihr wissenschaftliches Hauptwerk „Die gesellschaftlichen Grundlagen der Erziehung“ ab und arbeitete in der Bildungszentrale der Schweizer Sozialdemokratischen Partei. In der sozialistischen Frauenzeitung „Die Frau in Leben und Arbeit“ verfasste sie Analysen zur Einordnung des politischen Weltgeschehens. Sämtliche ihrer Schriften waren in Deutschland verboten, unter dem Pseudonym Friedrich Mark veröffentlichte sie unzählige pazifistische Artikel in der Schweiz und in verschiedenen Exilzeitschriften. Zur Vorbereitung auf die Zeit nach dem Krieg richtete sie pädagogische Ausbildungskurse für politische Flüchtlinge und Deserteure ein, um eine gestärkte und gebildete gesellschaftliche Basis im Nachkriegsdeutschland zu schaffen.

1946 kehrte Anna Siemsen nach Deutschland zurück, in der Hoffnung auf einen aufgeklärten und wachen Neubeginn. Bürokratische und auch politische Hürden sorgten dafür, dass sie bei der britischen Militärregierung Sonderlehrgänge für Volksschullehrer durchführte und pädagogische sowie literaturwissenschaftliche Vorträge hielt. Mit 69 Jahren verstarb Anna Siemsen in Hamburg. August Siemsen beschrieb die ungebrochene Stärke seiner Schwester in der Biografie über sie mit den folgenden Worten: „Stellung und Heimat konnten ihr die Nazis rauben, nicht aber ihre Waffen, die Anna mitnahm in die Schweiz: die Kraft ihres Geistes, die Leidenschaft ihres Herzens und die Unbeugsamkeit ihres Willens.“ (zitiert in: Schoppmann, S. 104f.)

Text: Katrin Huhn

Literatur: Schoppmann, Claudia (Hrsg.): Im Fluchtgepäck die Sprache. Deutschsprachige Schriftstellerinnen im Exil. Frankfurt/Main 1995; Wall, Renate: Lexikon deutschsprachiger Schriftstellerinnen im Exil 1933 bis 1945, Bd. 2, Freiburg i. Br. 1995.

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