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Kontexte und Phasen der Bücherverbrennungen 1933

Von März bis Oktober 1933 fanden in Deutschland 102 Bücherverbrennungen statt. Dabei handelt es sich nur um diejenigen, die bislang nachgewiesen werden konnten. Zwar teilten alle diese Aktionen 1933 den Zweck der Durchsetzung einer faschistischen Diktatur, dies aber ist kein ›Staatsakt‹ allein, denn auch in der Öffentlichkeit musste dafür ein nationalistischer Konsens auf rassistisch antisemitischer Grundlage gegen jeden Widerstand durchgesetzt werden. Vor allem in der zweiten Phase im April und Mai 1933 leisteten hierfür Studenten mit ihrer „Aktion wider den undeutschen Geist“ einen erheblichen Beitrag. Studenten stellten auch einen überproportional hohen Anteil in den SA und SS-Verbänden der Nazis, die im März und April systematisch jede lokale linke Partei- und Gewerkschaftsvertretung überfielen, wofür mit der „Reichstagsbrandverordnung“ vom 28. Februar ein rechtlicher Rahmen geschaffen worden war. Der Historiker Werner Treß unterscheidet bei den Bücherverbrennungen, die in Deutschland in diesem Zeitraum stattfanden, insgesamt drei Phasen, die nach Akteuren und Kontexten differenziert werden.

Terror gegen SPD, KPD, SAP und KPO sowie gegen Gewerkschaften, Zeitungen, Verlage, Schriftsteller- und KünstlerInnen im März und April 1933

Vor dem Verlagsgebäude der sozialdemokratischen "Dresdner Volkszeitung" auf dem Wettiner Platz, in dem sich im Erdgeschoss auch eine Volksbuchhandlung befand, verbrennen SA-Mitglieder am 8. März 1933 Bücher auf einem großen Scheiterhaufen (Hintergrund) unter Polizeischutz (stehend vorn).
Vor dem Verlagsgebäude der sozialdemokra­tischen „Dresdner Volkszeitung“ am Wettiner Platz 10, in dem sich im Erdgeschoss auch eine Volksbuchhandlung befand, verbrennen SA-Mitglieder am 8. März 1933 Bücher, Plakate und Flugblätter (Hintergrund) unter Polizeischutz (stehend vorn).

Bereits im März, April und in der ersten Maiwoche 1933 brannten in mehreren deutschen Städten Scheiterhaufen mit Büchern, Zeitungen, Broschüren, Fahnen, Flugblättern, Akten und Möbeln. Die Verbrennungen – in Berlin (15. März), Bochum (10.-11. März), Braunschweig (9. März), Bremen (22. April), Bremerhaven (6. Mai), Dresden (7. und 8. März), Flensburg (20. März), Heidelberg (11. März), Hirschberg (2. Mai 1933), Leipzig (9. März und 2. Mai), Kahla (April), Mühlhausen (April), Münster 31. März), Pirna (8. März), Rudolstadt (April 1933), Würzburg (10. März) und Zwickau (8. März) – waren Teil des ›nationalsozialistischen‹ Terrors gegen SPD, KPD, gegen die 1931 gegründete SAP und KPO (1929), gegen die Gewerkschaften, gegen demokratische und linke Schriftstellerinnen und Schriftsteller, Publizistinnen und Publizisten, Vereine, Verbände sowie Verlage. SA und SS drangen dabei gewaltsam in die Partei-, Gewerkschafts-, Verlagsgebäude und Wohnungen ein. Sie zerstörten die Inneneinrichtung, wenn vorhanden die wertvollen Zeitungs- und Buchdruckereien, raubten oder verbrannten Akten, Broschüren, Flugblätter, Schriften und Bücher. Das Ziel dieser Aktionen bestand darin, diejenigen politischen Gruppen und Organisationen zu zerschlagen und einzuschüchtern, die bereit waren, sich den Nazis in Deutschland in den Weg zu stellen. Ihnen sollte die materielle Grundlage ihrer Arbeit genommen werden. Die Sozialdemokraten, Kommunisten und Gewerkschaftsangehörigen selbst wurden verhaftet, geschlagen, nicht selten in ihren Gebäuden in spontan eingerichteten Folterstätten misshandelt oder in eines der frühen Konzentrationslager, ›abtransportiert‹. Oft errichteten SA und SS Scheiterhaufen vor dem jeweiligen Gebäude, auf denen die gefundene Literatur verbrannt wurde. Auch in Wohngemeinschaften und ›Künstlerkolonien‹ linker Intellektueller, Künstlerinnen und Künstler, in Bibliotheken, Kunstschulen und Museen, wie dem Berliner Anti-Kriegsmuseum, kam es in dieser Zeit zu Verhaftungen, zur Zerstörung und Beschlagnahmung von Literatur und Arbeitsmitteln.

Bücherverbrennungen „wider den undeutschen Geist“

Am 10. Mai endete in vielen deutschen Hochschulstädten – in Berlin, Braunschweig, Göttingen, Hannover, Kiel, Marburg, München, Rostock oder Würzburg – eine vierwöchige Kampagne mit öffentlichen Bücherverbrennungen als ihrem „Höhepunkt“. Sie wurde nicht von der NSDAP oder vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, das am 13. März 1933 gegründet worden war, geplant und durchgeführt, sondern von Studenten. Sichtbar begann sie am 13. April mit dem Anschlagen von weißen Plakaten in den Städten, auf denen die Deutsche Studentenschaft in zwölf Thesen unter dem Titel „Wider den undeutschen Geist“ u.a. verkündete: „Wir fordern die Auslese von Studenten und Professoren nach der Sicherheit des Denkens im deutschen Geiste.“

Berliner Verbindungsstudenten laufen am 10. Mai am gerade entzündeten Scheiterhaufen vorbei über den Berliner Opernplatz, dem heutigen Bebelplatz.
Berliner Verbindungsstudenten laufen am 10. Mai am gerade entzündeten Scheiterhaufen vorbei über den Berliner Opernplatz, dem heutigen Bebelplatz.

Das Aufhängen der Plakate war der Anfang der vierwöchigen nationalistischen, rassistisch antisemitischen Kampagne, im NS-Jargon: einer „Aktion wider den undeutschen Geist“. Sie schloss zum einen an den sogenannten „Judenboykott“ an, zu dem das Zentralkomitee zur Abwehr jüdischer Greuel- und Boykotthetze, am 1. April (einem Samstag) in einer „Aktion gegen die internationale jüdische Hetzpropaganda“ zum Boykott deutsch-jüdischer Geschäfte und Unternehmen aufgerufen hatte. Zum anderen begrüßte die Leitung der Deutschen Studentenschaft das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April, mit dem die Absetzung deutsch-jüdischer und politisch opponierender Professoren verstärkt möglich wurde. Die Deutsche Studentenschaft wollte ihren eigenen Beitrag leisten und forderte die Einzelstudentenschaften in einem Rundschreiben am 19. April dazu auf, „Angaben zu machen“ zu Hochschullehrern, „die unter das Gesetz vom 7. April fallen, das heißt Hochschullehrer, die Juden sind oder kommunistischen Organisationen bzw. dem Reichsbanner u.ä. angehört haben; ebenso Hochschullehrer, die nationale Führer, die Bewegung der nationalen Erhebung oder das Frontsoldatentum beschimpft haben“. An einigen Hochschulorten kam es zur Aufstellung von Schandpfählen, an denen die angefeindete Literatur angenagelt wurde. Standen die Bücherverbrennungen im März und April noch im Kontext des Terrors gegen Gewerkschaften, Parteien, Verbände und Verlage, so war die „Aktion wider den undeutschen Geist“ nun vor allem gegen die Literatur und Wissenschaften gerichtet, mit denen sich kein Nazideutschland aufbauen ließ. Die Studierenden kooperierten hierfür mit Bibliothekaren, die „Schwarze Listen“ erstellten, mit der SS, dem 1928 gegründeten Kampfbund für Deutsche Kultur und örtlichen „Kampfausschüssen wider den undeutschen Geist“ , um die Schriften von u.a. Henri Barbusse, Bertolt Brecht, Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger, Fjodor Gladkow, Gina Kaus, Thomas und Heinrich Mann, Erich Maria Remarque, Arthur Schnitzler, Anna Seghers, Arnold und Stefan Zweig und vielen anderen aus Bibliotheken und Privathaushalten zu holen und schließlich in einem ›feierlichen Akt‹ auf Scheiterhaufen in der Nähe der Universitäten öffentlich zu verbrennen. Für den geplanten „Höhepunkt“ der Bücherverbrennungen um den 10. Mai schlugen die Studenten Rektoren, Universitätsprofessoren und Nazi Studentenführer als Hauptredner, daneben ›völkische‹ Schriftsteller vor. Die für die Aktion hauptverantwortlichen Studenten bettelten in ihren Schreiben an Institutionen sprichwörtlich um ihre eigene „Gleichschaltung“, um gleichzeitig einen Beitrag zur „Gleichschaltung“ der Hochschulen zu leisten.

Bücherverbrennungen nach dem 10. Mai 1933

Im weiteren Verlauf des Jahres 1933 fanden bis in den Oktober hinein zahlreiche weitere Bücherverbrennungen statt. Dabei gab es zwei überregionale, größere Bücherverbrennungsaktionen. Eine wurde von der Hitler-Jugend organisiert und durchgeführt, nachdem der Oberpräsident der Preußischen Rheinprovinz, Hermann Freiherr von Lüninck (DNVP), sie dazu aufgefordert hatte und den Schülerinnen und Schülern „für diese Feier“ eine Stunde frei gab. Nach gegenwärtigem Kenntnisstand brannten so am 19. Mai 1933 für „Deutsche Geistigkeit und Kultur“ in Bad Kreuznach (auf den Schulhöfen des Gymnasiums und des Lyzeums), Essen (auf dem Schulhof des Helmholtz-Realgymnasiums) und Kleve Bücher auf Scheiterhaufen. Im Reichsland Baden organisierte die Hitler-Jugend eine „Kampfwoche gegen Schmutz und Schund“. Friedhelm Kemper, HJ-Führer des Gebietes Baden, erschien die studentische Aktion „Wider den undeutschen Geist“ offenbar nachahmungswürdig und so veröffentlichte er am 14. Mai einen Aufruf zu zwei „kulturellen Kampfwochen“ in Baden. Für die erste vom 12. bis 18. Juni 1933 forderte er „die gesamte Bevölkerung“ und „alle Bibliotheken“ auf, „jüdische Schmutz- und Schundschriften abzuliefern“, so schrieb es Kemper in einem Aufruf, der etwa im Offenburger Tageblatt vom 14.5.1933 abgedruckt wurde. Bislang wurden acht Bücherverbrennungen nachgewiesen, die diesen „Kampfwochen“ zuzurechnen sind. Sie fanden am 17. Juni 1933 in Bretten, Karlsruhe, Offenburg, Pforzheim und Waldkirch, am 18. Juni in Waldshut, am 24. Juni in Kehl sowie am 16. Juli 1933 in Heidelberg statt. Daneben fanden nach dem 10. Mai 1933 weitere Bücherverbrennungen statt, die offenbar nicht überregional organisiert worden sind, sondern auf lokale Initiativen der Hitler-Jugend, des Kampfbundes für deutsche Kultur, des Deutschen Handlungsgehilfen-Verbands (DHV), der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation (NSBO) und der NSDAP-Ortsgruppen zurückgehen.