» Deutsche Studenten im Kaiserreich

Antisemitismus und Sozialdemokratie

Mit den Vereinen Deutscher Studenten konnte sich der Antisemitismus an den deutschen Hochschulen etablieren. Hatte Heinrich von Treitschke, der Ehrenmitglied im Berliner VDSt war, in erster Linie noch einen Antisemitismus vertreten, der eine, wenn auch widersprüchliche, kulturelle Assimilation der Juden – worunter Treitschke eine ›Assimilation‹ an den deutschen Nationalismus verstand – als möglich und wünschenswert ansah, so war der Antisemitismus innerhalb der Vereine Deutscher Studenten in zunehmendem Maße darauf gerichtet, den rassistischen Antisemitismus, der sich auch bei Treitschke fand, in den Vordergrund zu stellen. Die sogenannte „Judenfrage“ wurde hierdurch schärfer verhandelt und diskutiert und mit ihr der Nationalismus, denn wenn Juden einer ›anderen Rasse‹ angehörten und an diese Rasse bestimmte ›Charaktermerkmale‹ gebunden waren, dann, so der Schluss, sei eine ›Assimilation‹ eigentlich nicht möglich.

Die Vereine Deutscher Studenten begannen seit Mitte der 1890er Jahre in ihren Vereinssatzungen festzulegen, dass Mitglieder „jüdischer Herkunft“ oder „getaufte oder ungetaufte Juden“ nicht aufgenommen werden dürfen. Im  „Taschenbuch für den Kyffhäuserverband der Vereine Deutscher Studenten“  fand sich in der 4. Auflage ab 1903 der Hinweis, dass einem „Aufgehen der Juden im deutschen Volke […] die Rassenverhältnisse hindernd im Wege [stehen], weil sich bei Mischehen die Merkmale des jüdischen Stammes mit großer Sicherheit vererben“. Die Kehrseite dieser Auffassung war eine rassistisch begründete Einheit der Nation, ein rassistischer Nationalismus. Er gründete sich auf einer angeblichen Höherwertigkeit der arischen, deutschen oder nordischen ›Rasse‹. Solche Annahmen halfen, wie auch in England und Frankreich dabei, koloniale Eroberungen und eine zunehmend imperialistische Wirtschaftspolitik als vermeintlich legitime Herrschaft der Überlegenen darzustellen. In Deutschland aber, wo die bürgerlich-demokratischen Traditionen schwächer als bei den europäischen Nachbarn waren – das Deutsche Reich hatte seine Einheit keiner Revolution, sondern einem Krieg und dem Militäradel zu verdanken – wurde die soziale Zurückgebliebenheit in eine deutsche Berufenheit zur Weltherrschaft umgedeutet. Der studentische Kyffhäuserverband war hiervon nicht ausgenommen. In den Akademischen Blättern, seiner offiziellen Verbandszeitschrift, vertrat etwa Carl Cremer in seinem Artikel „Die Deutschen im Völkergemisch“ 1895 die Ansicht, dass der „arischen Rasse […] die endgültige Führung der Menschheit zufalle.“

Solchen Auffassungen traten vor allem Mitglieder der SPD entgegen. Die Partei hatte auch in der Zeit der Sozialistengesetze (1878-1890) das passive und aktive Wahlrecht behalten und wuchs in dieser Zeit stark an. 1890 kam sie bei den Reichstagswahlen auf 19,7 %, mit denen sie zwar nicht nach Parlamentssitzen (nur 35 von 397), aber nach abgegebenen Stimmen den höchsten prozentualen Anteil aller Parteien auf Reichsebene erhielt. 1898 kam sie auf 27,2 % und 1912 schließlich auf 34,8 %. Der Antisemitismus richtete sich auch gegen ihre als ›jüdisch‹ ausgemachten Führer, denn es waren vor allem die SPD und die Gewerkschaften, in denen die deutsche Kolonial- und Rüstungspolitik kontrovers und kritisch diskutiert wurde. Seit den 1890er Jahren traten in der SPD Karl Kautsky (1854-1938) und August Bebel (1840-1913), Rosa Luxemburg (1871-1919), Clara Zetkin (1857-1933), Franz Mehring (1846-1919) und Karl Liebknecht (1871-1919) einer expansiven Kolonialpolitik auch dann entgegen, wenn durch die Kolonialpolitik – etwa durch staatliche Subventionen zum Ausbau von Werften und Schifffahrtslinien – Arbeitsplätze entstanden. Der Vorwurf, der ihnen gemacht wurde, war der des „Vaterlandsverrats“, und es ist leicht einzusehen, wie dieser Nationalismus, begründet durch ein ›deutsches Wesen‹ oder eine deutsche ›Rasse‹, mit seiner Forderung zum unbedingten Bekenntnis zur deutschen Nation nach außen Kolonialpolitik, Krieg und Eroberungen rechtfertigen half, während er nach innen dazu eingesetzt werden konnte, Druck auf eine die ›Nation zersetzende‹ Opposition wie die der SPD auszuüben. Doch auch in der Sozialdemokratie gruppierte sich ab 1897 ein rechter Flügel um die Zeitschrift „Sozialistische Monatshefte“ und glaubte, seine ›Vaterlandsgesinnung‹ unter Beweis stellen zu müssen; so etwa Gustav Noske (1868-1946), der die kolonialen Eroberungen und Kriege begrüßte.

» weiter zu Romantischer Antikapitalismus, Alldeutscher Verband und Theodor Fritsch