Studenten in der Novemberrevolution
Wie alle Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere, waren auch die studentischen, sofern sie in den Ersten Weltkrieg gezogen waren, Teilnehmer an einem Krieg, der in zuvor nicht gekanntem Maße ein Krieg fortgeschrittener Technik und großer Materialmengen war, der mehr Menschen das Leben gekostet hatte als jeder andere Krieg zuvor. Sie waren Zeuge von tausendfachem Tod. Dennoch waren die Erfahrungen, die die Soldaten im Krieg machten, jeweils sehr verschiedene. Das begann bereits mit der Frage, wer da im Krieg eigentlich gegen wen kämpfte, wie dieser Krieg zustande gekommen war, wer ihn verursacht hatte. Im Krieg selbst sahen manche ein sinnloses Massensterben und wurden Pazifisten. Andere, wie der Schriftsteller Ernst Jünger, beobachteten scheinbar nicht nur bei sich selbst die Geburt eines neuen Menschentypus, den Typus des unbedingt nationalen Frontsoldaten.
Unter denjenigen Studenten, unter denen sich Nationalismus, rassistischer Antisemitismus und Fremdenhass durch die Vereine Deutscher Studenten verbreitet hatten, dominierten „Kriegserlebnisse“ der letzteren Art. Sie ›erlebten‹, wie es etwa Walther Schulz (1887-1982) neben vielen anderen formulierte, „das große einende Erlebnis des Krieges“. Ihr Weltbild war zum großen Teil monarchistisch geblieben, daran hatte der Krieg nichts geändert. Ihr Nationalismus und Militarismus wurde vielleicht nicht nur am Umgang mit einer deutschen Niederlage verstiegener und aggressiver, sondern auch dadurch, dass sie nun im Nachkriegsdeutschland mit der bürgerlichen Novemberrevolution und sozialistischen Revolutionsversuchen konfrontiert waren. Beides lehnten sie schroff ab und Viele von ihnen ließen sich begeistert einspannen und meldeten sich freiwillig, nach Aufrufen des preußischen Kultusministers Konrad Haenisch (1876-1925) und dem Reichswehrminister Gustav Noske, für Reichswehr und Freikorps, um den Januar-Aufstand 1919 mit niederzuschlagen.
Diesem Aufstand war ein gescheiterter Putschversuch vorangegangen, der von Offizieren und Unteroffizieren der Reichswehr am 6. Dezember 1918 angezettelt worden war gegen den – zu gleichen Teilen aus Mehrheitssozialdemokratischer Partei (MSPD) und Unabhängiger Sozialdemokratischer Partei Deutschlands (USPD) besetzten – Rat der Volksbeauftragten. Der Militärputsch hatte das Ziel, Friedrich Ebert (1871-1925) als Reichspräsidenten einzusetzen. Ebert trat gegen den progressiven Flügel der SPD für die Fortsetzung einer Monarchie ein. An Weihnachten 1918 folgte ein weiterer Überfall eines Teils der Reichswehr auf die linke Volksmarinedivision im Berliner Stadtschloss und im Marstall, worauf die USPD aus dem Rat der Volksbeauftragten zurücktrat. Es folgten Demonstrationen von Arbeiterinnen und Arbeitern, die der USPD aber auch der MSPD und der Spartakus-Gruppe als Mitglieder angehörten, deren größerer Teil um den Jahreswechsel 1918/1919 die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) gründete. Die Demonstrationen hielten bis in den Januar hinein an, und als schließlich am 4. Januar der Berliner Polizeipräsident und USPD-Funktionär Emil Eichhorn (1863-1925) abgesetzt wurde, sahen die mehrheitlich USPD wählenden Obleute in den Berliner Betrieben darin einen Versuch, den Beamtenapparat zu restaurieren und gingen bewaffnet in das Berliner Zeitungsviertel. Es kam zum Kampf zwischen ihnen und Soldaten der vorläufigen Reichswehr in Berlin, auf deren Seite unter den Freikorps auch viele Studenten unter dem Befehlshaber Walther von Lüttwitz (1859-1942) kämpften. In Berlin gingen die Freiwilligenmeldungen der Studenten in die Tausende, und der Senat der Universität beschloss, Vorlesungen und Übungen kurzerhand ausfallen zu lassen.
Diese Konstellation wiederholte sich bei den Berliner Märzkämpfen, der Niederschlagung der Räterepubliken in Bremen im Februar, in Braunschweig, Cuxhaven, Würzburg und der bayrischen Räterepublik Anfang Mai 1919. Für die Nachkriegskrise der Weimarer Republik bis 1923 konnten sich die Studenten bei späteren Konflikten mit der Reichsregierung und dem preußischen Kultusministerium auf diese Beteiligungen berufen. Es gab allerdings auch Gegenstimmen. Die erste Tagung der Sozialistischen Studentengruppen Deutschlands und Österreichs, an der im April 1919 in Jena die studentischen Vertreter der MSPD-, USDP- und KPD-Hochschulgruppen teilnahmen, sprach dem preußischen Kultusminister Konrad Haenisch (SPD) in einer offenen Erklärung ihr Misstrauen aus. Der Kongress missbilligte Haenischs Unterstützung der studentischen Freiwilligenverbände „gegen das revolutionäre Proletariat“ und erklärte es „für eine Schande, daß unter einem Kultusminister, der sich sozialistisch nennt, noch heute Relegationen und Verfolgungen aufrechter Sozialisten unter den Studenten möglich sind.“
Gustav Noske bedankte sich bei späterer Gelegenheit bei den studentischen Freiwilligen, sie hätten als „geistige Korsettstangen in dem verseuchten Reichsheer gewirkt“, und ihre als Ehre und Pflicht verstandene nationale Bereitschaft hat Pate gestanden, als sich die Studenten im Juli 1919 in Würzburg trafen, um die Deutsche Studentenschaft zu gründen und eine Verfassung auszuarbeiten.
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