Die Hochschulringe deutscher Art
Tatsächlich teilten viele der studentischen Vertreter, auch die in den zunächst noch eher regional organisierten Burschenschaften, diese Haltung. Antisemitismus und Hass gegen Fremde, die ein „gesundes“, „fleißiges“ deutsches Volk ›auslaugten‹, das war eine Vorstellungsreihe, die mit der Behauptung einer kulturell oder ethnisch begründeten Überlegenheit des deutschen Volks einherging. Sie hatte den Befürwortern des Kolonialismus im Kaiserreich geholfen, ein natürliches Recht auf Eroberungen und später einen annexionistischen Imperialismus im Ersten Weltkrieg zu legitimieren. Auf der Grundlage dieser Vorstellungsreihe wurden nach diesem Krieg, nun wieder nach innen, ›Gründe‹ zur Erklärung der deutschen Niederlage abgeleitet.
Dass nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg unter den konservativsten Studierenden kein Umdenken, sondern eine zunehmende Verbreitung und Radikalisierung rechter Ideologien eintrat, dazu trug bis Mitte der 1920er Jahre vor allem die Hochschulringbewegung bei, in der sich eine Vielzahl der rechts stehenden Studenten sammelte. In Berlin wurde Anfang 1919 die Fichte-Hochschulgemeinde gegründet. Von ihr ging im selben Jahr die Gründung des Berliner Hochschulrings deutscher Art (HdA) aus, dem sich noch im Juni die Berliner Hochschulgruppen des antisemitischen Kyffhäuserverbandes der Vereine Deutscher Studenten (KVDS) und die Deutsche Burschenschaft anschlossen. Diejenigen unter ihnen, die am Ersten Weltkrieg teilgenommen hatten, hatten sich nicht unter den Demonstranten befunden, die in vielen deutschen Städten im Juli 1914 gegen den Krieg protestierten. Sie waren mit wehenden Fahnen in den Krieg gezogen. Auf der ersten Veranstaltung des Berliner Hochschulrings deutscher Art am 12. Dezember 1919 trat Erich Ludendorff (1865-1937), der mit Paul von Hindenburg (1847-1934) im Ersten Weltkrieg ab 1916 praktisch eine Militärdiktatur ausgeübt hatte, erstmals nach Kriegsende wieder öffentlich auf. Weitere Hochschulringe bildeten sich in den nächsten Monaten zunächst in Preußen, dann in der gesamten Weimarer Republik.
Ludendorffs Auftritt beim Berliner Hochschulring war insofern nicht überraschend, insofern die Hochschulringbewegung militaristisch war, sich für die Revision der Ergebnisse des Ersten Weltkriegs aussprach und sich auf die von Ludendorff mit verbreitete „Dolchstoßlegende“ stützte. In den Hochschulringen lautete die Frage nicht, warum und wie das Deutsche Reich überhaupt in diesen Krieg gekommen war. Seine Notwendigkeit stand fest, ebenso, dass Juden – als ›Führer der Sozialdemokratie‹ – das deutsche Volk und sein ›Wesen‹, seine ›Wehrhaftigkeit‹ und ›Kampfkraft‹ gemindert hätten, was zum ›Zusammenbruch‹ und zur ›Katastrophe‹ beigetragen habe. Die „Katastrophe“ – darunter verstanden die konservativen und rechten Studenten nicht den Ersten Weltkrieg und die Millionen Toten, sondern die „schmachvolle Niederlage“, angeblich herbeigeführt durch mangelnde ›Volkseinheit‹. Die Hochschulringe traten vorbehaltlos gegen die „Novemberzugeständnisse“, die Waffenstillstands- und Friedensvereinbarungen ein, polemisierten gegen das „Weimarer System“ und den Versailler Vertrag, mit dem u.a. Elsaß-Lothringen wieder an Frankreich überging und ein großer Teil Westpreußens und die Provinz Posen an Polen, mit dem das Deutsche Reich außerdem seine Kolonien in Afrika, Ostasien und Ozeanien verlor und sich auf eine umfassende Demilitarisierung und Reparationszahlungen verpflichtete. Sie knüpften an diejenigen Ideologien an, die in den Ersten Weltkrieg geführt hatten, und zogen aus der Niederlage den Schluss eines eigentlich ›rechtmäßigen Sieges‹, der nur von ›undeutschen Elementen‹ verhindert worden sei. Ihr politisches Ziel war mindestens die Wiederherstellung des Zustands von 1914, ein ›Großdeutschland‹ auf rassistischer Grundlage, und die Hochschulring-Studenten betrachteten sich als dessen voranschreitende Elite. Sie pflegten daher, allen Grausamkeiten des Kriegs zum Trotz, Frontsoldatenmythen (Langemarck), einen Kult der ›Wehrhaftigkeit des deutsches Volks‹, einer deutschen ›Rasse‹, die von ›jüdischer Hochfinanz‹, ›Demokraten‹, ›Zentrumsmännern‹, ›Sozialisten‹ und ›Kommunisten‹ ›unterwandert‹, ›ausgelaugt‹, ›zersetzt‹ und ›verraten‹ würde. Parlamentarismus und Parteiensystem lehnten ihre Vertreter ab, sprachen sich aber dafür aus, die parlamentarischen Strukturen in der studentischen Organisation für ihre Ziele auszunutzen.
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