» Die Hochschulringbewegung in der Weimarer Republik

Preußische Studentenrechtsverordnung und die Haltung der DSt zum Kapp-Lüttwitz-Putsch

Als größtes Hochschulland mit den meisten Studierenden und Universitäten bereitete Preußen 1920 eine Studentenrechts-Verordnung vor. Die preußische Vorlage vom 13. März 1920 sah vor, die Würzburger Bestimmungen von 1919 zur Mitgliedschaft in der Deutschen Studentenschaft zu korrigieren. Sie wollte zwar den „großdeutschen“ Aufbau der DSt beibehalten – ein Zugeständnis, das der Weimarer Verfassung widersprach – allerdings auch die DSt-Mitgliedschaft statt auf rassistischer Grundlage auf die einer Staatsbürgerschaft stellen. Die Mehrheit innerhalb der Deutschen Studentenschaft war gegen diese preußische Vorlage, die an demselben Tag veröffentlicht wurde, an dem rechte Militärs unter der Führung des Generals Walther von Lüttwitz (1859-1942) mit Unterstützung von Erich Ludendorff und dem Regierungsbeamten Wolfgang Kapp (1858-1922) gegen die Weimarer Republik putschten.

Aufruf zum Generalstreik von ADGB und AfA-Bund vom 13. März 1920. Quelle: ver.di-Archiv.
Aufruf zum Generalstreik von ADGB und AfA-Bund vom 13. März 1920. Quelle: ver.di-Archiv.

Der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB) und die Arbeitsgemeinschaft freier Angestelltenverbände (AfA), MSPD, USPD sowie einen Tag später die KPD riefen daraufhin zu einem Generalstreik auf, an dem sich auch ein Teil der Hirsch-Dunckerschen Angestellten-Gewerkschaften, ein Großteil an der Basis der christlichen Gewerkschaften und die sozialistischen Arbeiter-Unionen beteiligten. Die Reichswehr – von der Regierung aufgefordert, den Putsch abzuwehren – hatte ihren Gehorsam gegenüber der Regierung verweigert, die aus Berlin geflohen war, und so wurde der Putsch mithilfe des Generalstreiks von den Arbeitern und Angestellten niedergeschlagen. Auf Seiten der rechten Putschisten kämpften nicht nur, wie in einigen Städten, die kasernierte Polizei und die sogenannte „Technische Nothilfe“, die den Generalstreik zu brechen suchte, sondern auch mehrere Zehntausend Hochschulring-Studenten in studentischen Freiwilligenbataillonen, in den Freikorps und in den von einigen Landesregierungen mit organisierten Einwohnerwehren, die nach dem Kapp-Lüttwitz-Putsch von der Reichsregierung wieder aufgelöst wurden.

Erklärung der <i>Deutschen Studentenschaft</i> zum Kapp-Lüttwitz-Putsch in der <i>Deutschen Hochschul-Zeitung</i> vom 2. April 1920.
Erklärung der Deutschen Studentenschaft zum Kapp-Lüttwitz-Putsch in der Deutschen Hochschul-Zeitung vom 2. April 1920.

In der Deutschen Hochschul-Zeitung veröffentlichte der Vorstand der Deutschen Studentenschaft  am 2. April 1920 eine Erklärung „Zum Kampf ums Deutsche Reich“:

„Das größte Verbrechen war der Generalstreik. Und die, die zu ihm aufriefen, lassen die Kapp und Lüttwitz weit hinter sich, die sicher aus lautersten Motiven gehandelt haben und von dem Vorsatz getrieben waren, das deutsche Volk aus dem Sumpfe herauszureißen. […] Doch auch die ›Demokratie‹ der eng verbündeten Demokraten, Zentrumsmänner und Sozialisten hat nicht gesiegt. Diese angebliche Demokratie, die vor dem 13. März nur in einer Klüngelherrschaft der Führer dieser Parteien bestand, beginnt der allerdings noch verhüllten Diktatur des Proletariats, das unter der Diktatur des internationalen Judentums steht, zu weichen.“

Zwar bekannte sich der DSt-Vorstand nicht offen zu den Zielen der rechten Militärputschisten, bekundete aber offen seine Sympathie und positionierte sich zugleich gegen den Generalstreik, mit dem die noch junge Republik verteidigt worden war. Als die Regierung gegen die Streikenden mit eben jenen Truppen – wie im Ruhrgebiet mit denen des Generals Theodor Freiherr von Watter (1856-1922) – zusammenarbeitete, die gerade gegen die Weimarer Republik eine Militärdiktatur hatten errichten wollen, um sie – entgegen einer bestehenden Waffenstillstandsvereinbarung – Anfang April 1920 gegen die Ruhrarmee marschieren zu lassen, die die geflüchtete Regierung und die Republik gerettet hatte, sind die studentischen Verbände erneut dabei. Sie richten zusammen mit den Putschisten und der Reichswehr ein Blutbad mit Hunderten von Toten an.

Diese wechselnden Kooperationen zwischen den rechten Studenten, der Bauer-Regierung aus SPD, Zentrum und DDP, der Reichswehr und den Putschisten sind für die weitere Entwicklung der Deutschen Studentenschaft von Bedeutung. Denn sie stärkten im Verfassungsstreit mit der preußischen Regierung die Verhandlungsgrundlage des dominierenden rechten Flügels der Studentenschaft gegenüber den Kultusministerien. Die Hochschulringe deutscher Art (HdA) polemisierten nun scharf gegen den preußischen Entwurf der Studentenrechts-Verordnung. Er wurde Hauptthema auf einem außerordentlichen Dresdner Studententag vom 16. bis zum 18. Mai 1920. Die Deutsche Hochschul-Zeitung erschien am 16. Mai 1920 mit einem Aufruf an den Dresdner Studententag, den „jüdischen Volksfremden“ kein „Heimatrecht“ zu gewähren.

Republikanische Studierendenvertreter versuchten demgegenüber für eine staatsbürgerliche Lösung der Mitgliedschaft einzutreten. Schließlich wurde ein Kompromissvorschlag des Erlanger AStA angenommen, der die Forderungen der preußischen Vorlage für die Hochschulen der Weimarer Republik zwar akzeptierte, aber eine Mitgliedschaft in der DSt vom Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit vor dem 1. August 1914 abhängig machte. Es war dies eine ähnliche, wenn auch ›mildere‹ Lösung‹ verglichen mit den Zielen des nationalistischen, rassistisch antisemitischen Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund. 1919 durch einen Zusammenschluss mit über 300.000 Mitgliedern gegründet, strebte er, nach seiner Satzung, eine „sittliche Wiedergeburt des deutschen Volkes“ nach dem Ende des Kriegs durch die „Erweckung und Förderung seiner gesunden Eigenart“ an. Der „zersetzende Einfluss des Judentums“ galt hier als „Hauptursache des Zusammenbruchs“. Der Bund forderte u.a. die Ausweisung aller seit dem 1. Juli 1914 zugereisten Ausländer.

„Stück 1“ – statt des „volksfremde[n] Geheimzeichen[s]“ § oder dem „Unwort Paragraph[en]“ – der Göttinger Verfassung der <i>Deutschen Studentenschaft</i> vom Juli 1920. (Quelle: „Das erste Jahr Deutsche Studentenschaft 1919-1920“. Göttingen 1921.)
„Stück 1“ – statt des „volksfremde[n] Geheimzeichen[s]“ § oder dem „Unwort Paragraph[en]“ – der Göttinger Verfassung der Deutschen Studentenschaft vom Juli 1920. (Quelle: „Das erste Jahr Deutsche Studentenschaft 1919-1920“. Göttingen 1921.)
Für die im Aufruf an den Dresdner Studententag formulierte Position („kein Heimatrecht“ den „jüdischen Volksfremden“) konnten sich die Studenten aber auch auf eine Vielzahl ihrer Professoren berufen. Gustav Roethe, Berliner Germanist an der Friedrich-Wilhelms-Universität (der heutigen Humboldt-Universität), begründete die mangelnde ›Volkseinheit‹ im Krieg auf der Linie des DHR, wenn er im Mai 1919 meinte: „Nur einem von Juden und Sozialisten verhetzten Volke konnte eine derartige Katastrophe zustoßen.“ Professor Roethe, deutschnational und antidemokratisch, wurde im selben Jahr Vorsitzender des „Reichsausschusses deutschnationaler Hochschullehrer“. Roethe war in diesem Ausschuss politisch keineswegs isoliert. Er hätte sonst nicht Vorsitzender in ihm werden können. Vier Jahre darauf wurde er außerdem Rektor der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität.

Faktisch bedeutete der Erlanger Kompromiss einen Ausschluss der direkt zum Studium nach Deutschland gekommenen Studierenden, während für die „Auslandsdeutschen“ weiter rassistisch zwischen „fremdstämmig“ und „deutschstämmig“ unterschieden werden konnte und demnach die Möglichkeit einer Mitgliedschaft aufgrund ›rassischer Zugehörigkeit‹ zur ›deutschen Volksgemeinschaft‹ bestand. Die Beschlüsse wurden der Verfassung des folgenden Göttinger Studententags im Juli 1920 zugrundegelegt, die von den Regierungen der meisten Reichsländer anerkannt wurde. Die Deutsche Studentenschaft konnte so auf der Grundlage rassistisch-antisemitischer und ausländerfeindlicher Regelungen als öffentlich-rechtliche Körperschaft auftreten und für ihre Arbeit Beiträge auch von denjenigen immatrikulierten Studierenden erheben, denen sie selbst eine Mitgliedschaft in der DSt verweigerte.

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