Der ›schnelle‹ Aufstieg des NS-Studentenbunds
Als der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund (NSDStB) im Dezember 1925 in München gegründet wurde, war der ideologische Boden für seinen rasanten Aufstieg in den Allgemeinen Studentenausschüssen bereitet. Dies zeigte sich in der folgenden Wirtschaftskrise. Denn dieser Boden lieferte Begriffe und Argumentationen, mit denen sich ein Großteil der Studenten ihre sich verschlechternde soziale und ökonomische Situation und berufliche Perspektive erklärten. Nach einer gut vierjährigen Periode wirtschaftlicher Konjunktur (1924-1928) flachte der Aufschwung 1928/29 ab, und mit dem Zusammenbruch der New Yorker Börse am Freitag, dem 29. Oktober 1929, begann die schwerste internationale zyklische Überproduktionskrise in der bisherigen Geschichte. Mit wenigen Ausnahmen fiel diese Krise an den wirtschaftswissenschaftlichen Instituten und selbst für die kritischen Journalisten – wie die der linksliberalen Frankfurter Zeitung – aus heiterem Himmel, denn sie gingen zunehmend von einer stetigen Verflachung der krisenhaften Erscheinungen im Kapitalismus aus. Doch in nur wenigen Wochen erreichte die Arbeitslosenquote knapp 15%, 1930 wurden es über 20%, 1931 stieg sie auf knapp 30%. Die Industrieproduktion ging um gut 40% zurück.
Diese Krise traf auch die Studentinnen und Studenten, deren soziale Lage und beruflichen Aussichten sich sehr verschlechterte. Sechs Jahre zuvor waren in der Hyperinflation von 1923 – zu einem Teil eine Folge aus der Kriegskreditfinanzierung im Ersten Weltkrieg – zudem die Vermögen ihrer Eltern entwertet worden, so dass die Studierenden zunehmend in den Semesterferien oder neben dem Studium arbeiten gehen mussten. Nun fiel mit der Krise ab 1929 oft auch eine Nebenverdienstmöglichkeit weg. Seit Ende 1929 verschlechterten sich die beruflichen Perspektiven Jahr für Jahr dramatisch selbst für Studierende, die sich bis dahin nicht um ihre Zukunft hatten sorgen müssen. Drei Viertel der Ingenieure, die 1929 die preußischen Technischen Hochschulen verließen, fanden keine Arbeit, die ihrer Qualifikation entsprach.
Durch die Brille der Ideologien des rassistischen Antisemitismus und eines ›Großdeutschlands‹ konnten die Sündenböcke der Krise schnell ausgemacht werden: die Hauptursachen lägen demnach in einem durch den Versailler Vertrag verkleinerten Deutschen Reich, einer Verringerung der ›politischen, ökonomischen und militärischen Kräfte des deutschen Volkes‹ durch eine ›Verjudung‹ der großen Unternehmen und Banken, der Presse und des Verlagswesens, der Literatur und der Universitäten und Schulen, in denen das Judentum „deutsche Arbeitsplätze“ blockiere oder ›Hungerlöhne‹ zahle. Daher müsse man die Juden von ihren Stellen entfernen, die Rüstungsindustrie staatlich bezuschusst ankurbeln und mit einem Krieg das ›großdeutsche Reich‹ anstreben; nur dann würde sich die Situation ändern. Auf diesem Programm basierte die Arbeit der Hochschulringe deutscher Art, und in diesem Sinne fielen auch die politischen Analysen des NSDStB aus.
Welchen Einfluss der NS-Studentenbund an den Hochschulen gewann, wird deutlich, wenn man die Wahlergebnisse zu den Allgemeinen Studentenausschüssen in dieser Zeit mit denen der NSDAP bei den Reichstagswahlen vergleicht. Bei den Reichstagswahlen im Mai 1928 kam die NSDAP auf gerade einmal 2,6% der Stimmen; zwei Jahre später – nachdem die Krise voll ausgebrochen war – erzielte sie im September 1930 einen beachtlichen Erfolg mit 18,3%. Bei den Wahlen zu den Allgemeinen Studentenausschüssen dagegen kam der NSDStB bereits 1929 auf 19,5% und hatte 1930 mit 34,4% einen fast doppelt so hohen Prozentsatz der Stimmen unter den Studierenden erhalten wie im gesellschaftlichen Durchschnitt. An elf Hochschulen verfügte der NSDStB 1930 über absolute Mehrheiten: in Erlangen, Rostock, Breslau, Jena, Greifswald, Köthen, Gießen, Leipzig, an der TH Berlin-Charlottenburg und in Österreich an den beiden Hochschulen für Bodenkultur und für Welthandel in Wien. An zwölf weiteren Universitäten stellte er 1930 die stärkste Fraktion: in Königsberg, Karlsruhe, Braunschweig, Darmstadt, Mannheim, Hamburg, Würzburg, an den Technischen Hochschulen und Universitäten in München und Wien sowie an der Tierärztlichen Hochschule Berlin. 1931 erhielt der NSDStB bei den AstA-Wahlen reichsweit 44,4% der Stimmen – dies alles bei studentischen Wahlbeteiligungen über 60%. Es war ein Resultat, das die NSDAP nicht einmal bei den Reichstagswahlen im März 1933 erzielen konnte, obwohl durch Verhaftungen und rechten Terror vor allem KPD und SPD zu diesem Zeitpunkt kaum noch einen vernünftigen Wahlkampf hatten durchführen können. Auf dem Grazer Studententag von 1931 übernahm der NSDStB mit Walter Lienau (1906-1941) den Vorsitz der Deutschen Studentenschaft.