Die erste weibliche Diplomatin weltweit wurde 1872 als Kind eines russischen Generals und einer Finnin in eine wohlhabende Familie in Sankt Petersburg hineingeboren. Sie studierte Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in Zürich. Themen der weiblichen Selbstbestimmung hatten in ihrem Leben bereits sehr früh Priorität, da sie mit 21 Jahren gegen den Willen ihrer Eltern ihren Cousin heiratete und Mutter wurde. Fünf Jahre später verließ sie die Familie, um sich ganz der politisch aktiven Mitarbeit für die sozialistische Idee zu widmen. 1899 trat sie der russischen sozialdemokratischen Arbeiterpartei bei, um den Kampf für die Gleichberechtigung der Frau voranzutreiben. In der Zeit zwischen 1908 und 1917 befand sie sich in verschiedenen Ländern wie bspw. Frankreich, Schweden und Finnland im Exil.
Nach dem Ende der Oktoberrevolution konnte Kollontay in die junge Sowjetunion zurückkehren und ihre politische Arbeit aufnehmen, sie war die erste Frau im „revolutionären“ Kabinett unter Lenin und wurde zur Volkskommissarin für soziale Fürsorge. In ihrer Funktion setzte sie sich vor allem und ihr Leben lang für die arbeitsrechtliche Gleichstellung der Frau, die Verbesserung des Mutterschutzes sowie für die kollektive Kindererziehung und die Möglichkeit für Schwangerschaftsabbrüche ein. Kollontay hielt Vorlesungen vor Arbeiterinnen und Bäuerinnen, in denen sie die Entwicklung der Stellung der Frau im historischen Kontext analysierte, aber vor allem machte sie den Zuhörerinnen klar, wie wichtig der Aufbau der sozialistischen Gesellschaft für die vollständige Autonomie der Frau ist. Als Diplomatin vertrat sie die Sowjetunion in Norwegen, Schweden und Mexiko.
Durch ihre emanzipierten Schriften, Pamphlete, Artikel und Romane wurde sie zu einer wichtigen Stimme für die feministische Bewegung, Kollontay war zweimal für den Friedensnobelpreis nominiert. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zog sie sich aus der Politik zurück. In ihren autobiografischen Aufzeichnungen „Autobiographie einer sexuell emanzipierten Kommunistin“ aus dem Jahr 1925 erinnerte sie sich rückblickend: „Die Frauen und ihr Schicksal beschäftigten mich ein Leben lang, und ihr Los war es auch, das mich zum Sozialismus führte“. Ohne den Sozialismus gab es für Kollontay keine Möglichkeit für Frauen, sich von ihren strukturellen und gesellschaftlichen Grenzen zu befreien. So arbeitete sie in allen Bereichen unaufhörlich für Veränderungen und Erneuerungen, vor allem ihre Plädoyers für die „freie Liebe“ und die sogenannte solidarische „Kameradschaftsehe“ stellten revolutionäre neue Ansätze dar und fanden nicht nur Zuspruch in den Reihen der GenossInnen. „Die wirklich befreite Frau muß materiell vom Mann unabhängig sein und von den mit der Mutterschaft verbundenen Pflichten entlastet werden.“ Kollontay starb 1952 hochdekoriert in Moskau. Bis heute nimmt sie mit ihren Texten eine wichtige und streitbare Rolle in der feministischen Theorie ein.
Literatur: fembio.org; magnus-hirschfeld.de; Notz, Gisela (Hrsg.): Wegbereiterinnen. Berühmte, bekannte und zu Unrecht vergessene Frauen aus der Geschichte. Neu-Ulm 2019, S. 124
Text: Katrin Huhn