Alexandra Kollontay, Wege der Liebe, 1925

Quellenbeschreibung

In ihren 1925 vom Berliner Malik Verlag veröffentlichten drei Erzählungen, die inhaltlich Selbstbefreiungsschläge sowjetischer Frauen aus den patriarchalen Gefügen nachzeichnen, stellt Kollontay ein neues und emanzipiertes Bild der modernen Frau in der sozialistischen Gesellschaft vor. Als überzeugte Kommunistin, Marxistin und Verfechterin der sozialistischen Revolution, ohne die es nach ihrer Überzeugung kein Selbstbestimmungsrecht für Frauen geben könne, positionierte sie sich politisch als auch gesellschaftlich konträr zu den Vorstellungen der Nationalsozialisten. Kollontay verhandelt in „Wege der Liebe“ die Themen, für die sie sich zeitlebens einsetzte: die Unabhängigkeit der Frau in der Gesellschaft, von der Rolle als Mutter und Ehefrau bis hin zur selbstbestimmten Entscheidung, kein Kind zu bekommen und zeichnet so ein sehr modernes und emanzipiertes Frauenbild.

In Kollontays erster Erzählung „Die Liebe der drei Generationen“ nimmt die Leserschaft teil an einem längeren Brief, den Olga Wasselewskaja an die Erzählerin schreibt, in dem sie sie um Hilfe bittet, denn sie weiß nicht, was sie tun soll. Es geht um die Lebensweise ihrer Tochter, aber dieser Geschichte voraus gehen zunächst die eigenen Lebenserinnerungen und die ihrer Mutter. Olga Wasselewskaja führt aus, dass ihre Mutter sich dem Politischen ganz und gar verpflichtet fühlte und auch gemeinsam mit ihrem Mann wirkte: „In Sergej fand meine Mutter, wie sie behauptete, die Verkörperung alles dessen, was ihr Herz, ihre Seele und ihr Geist suchten: Den leidenschaftlich geliebten Mann, den Menschen, den sie achten konnte, und den Freund, mit dem zusammen sie für die Aufklärung des Volkes arbeiten wollte.“ (S. 14). Wasselewskajas Eltern gerieten in Zeiten der Revolution in Haft. In der Verbannung wurde Olga geboren. Sie schreibt, dass der Vater Sergej ihre Mutter betrog und sie ihn daraufhin verließ. Als sie von den einzelnen Lebensläufen erzählt, entstehen Parallelen in den Handlungs- und Erfahrungsräumen. Denn Olga Wasselewskaja selbst erwähnt auch eine Affäre, die sie als liierte Frau in Bedrängnis geraten ließ. Voller Unsicherheit bittet sie ihre Mutter um Hilfe, da sie schwanger war und sich nicht zu helfen wusste: „Und ich versuchte wieder, meiner Mutter klarzumachen, wie beide Gefühle in mir nebeneinander lebten: Die tiefe Anhänglichkeit, die Zärtlichkeit für Constantin, das Bewußtsein unserer seelischen Zusammengehörigkeit, - und der stürmische Trieb zu M., den ich als Menschen weder liebe noch achte.“ (S. 27). In den Wirren der Revolution begegnet sie beiden noch einmal, aber die Gefühle sind erloschen. Sie lebt selbstbestimmt als alleinerziehende Mutter und berichtet nun von ihrer Tochter Genia, um die es eigentlich geht. Denn sie erwartet ein Kind, weiß jedoch nicht, von wem. Das empört die Mutter und sie bittet die Erzählerin nun darum, mit Genia zu sprechen. Genia äußert sich sehr selbstbewusst über die Empörung ihrer Mutter: „Du sagst, das ist gemein, Mutter, man soll sich nicht ohne Liebe hingeben, und ich bringe dich mit meinem Zynismus zur Verzweiflung. Aber sage mir offen, Mutter, wenn ich dein zwanzigjähriger Sohn wäre, der an der Front gewesen ist und überhaupt selbständig lebt, würdest du auch entsetzt sein, wenn er Verkehr mit Frauen hätte, die ihm gefallen?“ (S. 50f.). Genia empfindet keine hingebungsvolle und tiefe Liebe für die Männer und entscheidet sich gegen die Schwangerschaft und das Kind. Die Erzählerin fragt sich nach dem Gespräch mit ihr: „Ich aber bleibe mitten im Zimmer stehen und suche die Antwort auf die Frage: Wer hat in Zukunft Recht, - das Recht der neuen Klasse mit den neuen Gefühlen, neuen Begriffen und neuen Anschauungen?“ (S. 65).

In der zweiten Erzählung „Schwestern“ erfährt die Leserschaft von einer jungen verzweifelten Frau, die um Hilfe bittet. Sie berichtet von ihrer Beziehung zu ihrem Mann, ihrer Arbeitslosigkeit und dem verstorbenen Kind. Nachdem er mehrere Male betrunken und dann auch mit einer Frau nach Hause kam, verzweifelte sie zunehmend an dieser Verbindung. Eines Nachts spricht sie mit der jungen Frau, die sich prostituieren muss, weil sie entlassen wurde und sich nicht zu helfen weiß. Sie ist empört über das ausbeuterische und unmoralische Verhalten ihres eigenen Mannes: „Wie durfte er es wagen, die trostlose Lage einer Frau so auszunutzen? Er ist doch ein einsichtsvoller Arbeiter mit Verantwortungsgefühl! … Statt einem arbeitslosen Kameraden zu helfen, kauft er ihn! Kauft seinen Körper zur eigenen Befriedigung! … Das war mir so ekelhaft, daß ich mir sofort sagte: Mit einem solchen Menschen kann ich nicht länger leben!“ (S. 84). Sie trennt sich von ihm und versucht selbstbestimmt ihren Weg zu gehen.

In der dritten Erzählung „Wassilissa Malygina“ begegnet man der starken Kommunistin und Arbeiterin Wassilissa Malygina, die sich für die Rechte der Frauen einsetzt. „Weshalb sind Weiberangelegenheiten weniger wichtig? Alle haben sich an diese Arbeit gewöhnt, daher kommt das ‚Zurückgebliebensein‘ der Frau. Aber ohne Frauen kann man keine Revolution machen.“ (S. 90). Sie arbeitet unaufhörlich für ein Gemeindehaus und vermisst ihren Mann Wladimir schmerzlich. Als sich die Gelegenheit ergibt zu ihm zu reisen, macht sie sich auf den Weg und erinnert sich an die schwierigen Zeiten, die beide straucheln ließen, aber auch an die guten, die sie verbinden. Als sie auf seinem Gehöft ankommt, wundert sie sich über die luxuriöse Ausstattung seines Hauses und kann nicht verstehen, weshalb er so verschwenderisch lebt. „So ein Gehalt bekommst du? Monatlich? Ja wie darfst du es dann als Kommunist für solchen Dreck verbrauchen, für lauter Nichtigkeiten? Die Not wächst! Rund herum ist Not! Hunger! … Und die Arbeitslosen? Hast du die vergessen?“ (S. 192). Hinzu kommt, dass sie erfährt, dass Wladimir seit längerem eine Freundin hat. Wassilissa ist hin- und hergerissen. Sie weiß nicht, was sie tun soll. Zuerst ist sie erleichtert, als seine Geliebte den Ort verlässt, spürt aber auch, dass ihre Beziehung zu Wladimir schon lange nicht mehr so ist, wie sie mal war. Zunehmend spürt Wassilissa, dass er sie nicht akzeptiert und sie wiederholt kritisiert und beschimpft: „Wie ziehst du dich an? Die Stiefel sind abgetreten, der Rock ist schmutzig, wie ein Weib aus dem Dorf kommst du mit dem Tuch auf dem Kopf. Liederlich!“ (S. 348). Sie trennt sich von ihm, ist sich aber ihrer bevorstehenden Aufgaben bewusster denn jemals zuvor und beschließt selbstbestimmt ihr Leben in die Hand zu nehmen, auch mit dem Kind, das unter ihrem Herzen wächst: „Ein Kindchen! Das ist schön. Sie wird den andern Weibern ein Beispiel geben, wie man ein Kind kommunistisch erzieht. Man braucht nicht eine Küche, eine Familie und all den Plunder.“ (S. 396).

Text: Katrin Huhn

Achtung! Diskriminierender Begriff auf S. 216

Empfohlene Zitation

Alexandra Kollontay, Wege der Liebe, Berlin 1925, veröffentlicht in: Digitale Bibliothek verbrannter Bücher, <https://www.verbrannte-buecher.de/bibliothek/source-14> [01.05.2025].