Der sehr erfolgreiche und produktive Schriftsteller Joseph Roth wurde 1894 in der ostgalizischen Stadt Brody geboren und wuchs in einer streng religiösen Familie auf. Er besuchte die Jüdische Volksschule und lernte dort Hebräisch und Jiddisch. In Lemberg und Wien studierte Roth Germanistik, sein Interesse an der deutschen Literatur und Kultur konnte er mit dem Studium vertiefen.
In den Jahren zwischen 1916 und 1918 leistete er Kriegsdienst, die Erfahrungen im Ersten Weltkrieg und dessen Folgen beeinflussten sein Schreiben maßgeblich: „Mein stärkstes Erlebnis war der Krieg und der Untergang meines Vaterlandes, des einzigen, das ich je besessen habe: der österreichisch-ungarischen Monarchie. Auch heute noch bin ich durchaus patriotischer Österreicher und liebe den Rest meiner Heimat wie eine Reliquie.“ (zit. in: Kilcher, Andreas (Hrsg.): Deutsch-jüdische Literatur. 120 Porträts. Stuttgart 2006, S. 200). Aus dieser Überzeugung resultierte auch sein Roman „Radetzkymarsch“, der 1932 erschien.
Seine ersten journalistischen Arbeiten nach 1918 in Wien und Berlin setzten sich mit den unmittelbaren Folgen des Kriegs auseinander. Damit unmittelbar verbunden war die Erfahrung der Heimatlosigkeit, der unmöglichen Heimkehr. Diese verarbeitete er in seinen Romanen „Hotel Savoy“ (1924) und „Flucht ohne Ende“ (1927) sowie in seinem 1927 erschienenen Essay „Juden auf Wanderschaft“, der anlässlich einer Recherchereise durch Russland für die „Frankfurter Zeitung“ entstand. Bereits sehr früh, 1923, erkannte und thematisierte Roth die Gefahr des Antisemitismus, der sich in den kommenden Jahren ins Unermessliche steigerte, in seinem Roman „Das Spinnennetz“. In „Hiob. Roman eines einfachen Mannes“, der 1930 erschien, setzte er sich anhand einer Familiengeschichte mit den Themen der Assimilation, der verheißungsvollen Auswanderung und dem Zerbrechen alter Ordnungen auseinander.
Roths Exil begann 1933 in Paris, sein Schreiben wurde immer politischer. Er forderte die exilierten deutsch-jüdischen AutorInnen mit Nachdruck auf, sich gegen die Nationalsozialisten zu stellen und sich schreibend zu engagieren: „Wir Schriftsteller jüdischer Herkunft sind, Gott sei gedankt, vor jeder Versuchung, uns der Seite der Barbaren anzunähern, geschützt. Wir sind die einzigen Repräsentanten Europas, die nicht mehr nach Deutschland zurückkehren können. […] In einer Zeit, da Seine Heiligkeit, der unfehlbare Papst der Christenheit, einen Friedensvertrag, ‚Konkordat‘ genannt, mit den Feinden Christi schließt, da die Protestanten eine ‚Deutsche Kirche‘ gründen und die Bibel zensieren, bleiben wir Nachkommen der alten Juden, der Ahnen der europäischen Kultur, die einzigen legitimen Repräsentanten dieser Kultur.“ (zit. in: Kilcher, Andreas (Hrsg.): Deutsch-jüdische Literatur. 120 Porträts. Stuttgart 2006, S. 203). Bis zu seinem Tod 1939 positionierte er sich öffentlich und wiederholt gegen jeglichen Nationalismus, kritisierte den Zionismus und forderte die EuropäerInnen auf, kosmopolitisch zu leben und zu handeln: „Welch eine Schande, keiner Nation anzugehören? – Worin liegt eigentlich die Schmach? […] Ist es denn nicht ehrenvoller, ein Mensch […] zu sein als ein Deutscher, ein Franzose, ein Engländer?“ (zit. in: ebd.). Dem Alkohol verfallen starb Roth 1939 in einem Armenhospital.
Text: Katrin Huhn
Literatur: Kilcher, Andreas (Hrsg.): Deutsch-jüdische Literatur. 120 Porträts. Stuttgart 2006