Klaus Mann, Der fromme Tanz. Das Abenteuerbuch einer Jugend, 1926

Quellenbeschreibung

Bereits im Alter von 19 Jahren verfasste Klaus Mann seinen Debütroman „Der fromme Tanz“, der 1926 im Hamburger Gebrüder Enoch-Verlag erschien. In diesem autobiografisch geprägten Entwicklungs- und Coming-Out-Roman zeichnete er ein Bild seiner Generation nach, die in ihrer Kindheit und Jugend den Ersten Weltkrieg miterlebt hatte und sich in den 1920er Jahren mit den chaotischen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Unsicherheiten konfrontiert sah und zudem von einer stark ausgeprägten Orientierungslosigkeit und Unruhe geprägt war. „Der fromme Tanz“ ist zugleich auch der erste deutschsprachige Roman, der unkonventionell und modern Themen der gleichgeschlechtlichen und freizügigen Liebe aufgreift. Bücher, die wie dieses Erotik, Elend, Großstadt, Drogen, Gewalt und Prostitution thematisierten und unter dem Begriff der „Neuen Sachlichkeit“ neues literarische Terrain betraten, wurden zwischen 1926 und 1935 unter dem „Gesetz zur Bewahrung der Jugend vor Schund- und Schmutzliteratur“ auf einer Liste der indizierten Literatur geführt.

In seinem Vorwort von 1925 spricht Klaus Mann die Lesenden als ein Vertreter der Nachkriegsjugend an, indem er deutlich macht: „Kein Buch vielleicht hat es nötiger, am Anfang gleich um Entschuldigung zu bitten, um seiner Wirrnis willen, als eines, das aus unserer Jugend kommt, von unserer Jugend handelt, und nichts sein, nichts bedeuten möchte, als Ausdruck und Geständnis dieser Jugend, ihrer Not, ihrer Verwirrung – und ihrer hohen Hoffnung vielleicht.“ (S. 9). Über sein Buch heißt es weiter: „Als ein Dokument kann es vielleicht bestehen, finden doch die ‚Verwirrungen, die diese außerordentliche Zeit für uns mit sich brachte‘, einen nur zu deutlichen Spiegel in ihm.“ (S. 11f.). Andreas Magnus, ein Vertreter der Nachkriegsjugend und Hauptprotagonist in „Der fromme Tanz“, ist ein gebildeter und begabter Jugendlicher, der sich entschließt, sein wohlbehütetes Elternhaus zu verlassen, auf der Suche nach seinem „Lebenslied“ (S. 24). An ihm nagen große Selbstzweifel und er findet keinen Halt in der Gesellschaft, denn: „In diesen Krieg hineingeboren war er – er, Andreas Magnus, der Einzelfall, der ihn in seiner einmaligen Verwirrung vor Augen stand, obwohl er zuinnerst begriff, daß diese Verwirrung die einer Generation sein mußte, die eines ganzen Geschlechtes, nicht die eines einzelnen, einen.“ (S. 25). Hinzu kommt, dass er früh erkennt, dass er sich zu Männern hingezogen fühlt und ist verzweifelt, seine Freundin Ursula weiß keinen Rat, sie verdeutlicht ihm: „Wie soll ich dich trösten […] ich habe am wenigsten einen Trost für dich. Ich weiß keinen Ausweg für dich, Andreas – ich bin ja nur eine Frau. Soll ich dir heute sagen: ich glaube, daß du einen finden wirst? Das wage ich nicht, denn die Verwirrung ist groß. Aber ich wünsche es so, Andreas, ich wünsche es mir so – um deinetwillen […]“ (S. 58). Der junge Mann flüchtet nach Berlin, in der Hoffnung, seiner stillen Sehnsucht und seiner Sinnsuche ein Stück näherzukommen.

In der flirrenden, lauten, aber auch elendigen Großstadt der 1920er Jahre, die ihn in den ersten Stunden fast verzweifeln lässt, kommt er wenig später in der Pension der Witwe Meyerstein unter. Hier wohnen weitere Vertreter:innen seiner Generation, sie alle sind auf der Suche. Er sinniert über sie: „Aber Andreas sah die jungen Leute an, seine Altersgenossen, einen nach dem anderen. Und er sah es, wie um ihren Mund schon kleine, nicht gleich bemerkbare Fältchen lagen, und begriff, daß frühes Abenteuer, überstürzte Not, hastige Erfahrungen sie eingegraben hatten. Ihm kam es vor, als hätten alle sie sich, im Grunde weltfremd, im Grunde kindische sogar, wie kaum eine Jugend vorher, vorschnell in einen Kampf gewagt, den ihr Ehrgeiz, den ihre Not sie zu bestehen zwang und der doch fast zu streng für sie war.“ (S. 96). Für sein Zimmer muss Andreas Geld verdienen, Fräulein Franziska, eine seiner Mitbewohnerinnen, nimmt ihn mit ins Kabaretttheater „Pfütze“. Hier soll er gemeinsam mit ihr auf der Bühne stehen und als geschminkter Matrose kurze Gedichte präsentieren, wie etwa das Straßenlied einer Prostituierten. Nach ihren Auftritten ziehen sie gemeinsam durch die nächtlichen Straßen Berlins: „Wie über die Maßen groß war die Stadt, wenn sie abends den ausschweifenden Prunk ihrer Lichtreklamen, all ihrer kreisenden, auf und ab flammenden Beleuchtungen wie zu einem großen Feste entzündete, wenn sie also, sachlich und berauscht in einem, wie ein in Leidenschaft brennendes Tier zu Gottes Füßen lag.“ (S. 122). Sie kehren in bekannte Lokale und Transvestiten-Bars ein und begegnen dort den verschiedensten Menschen, wie etwa dem jungen Boris, der zunehmend seiner Kokainsucht verfällt: „Aber Boris, allein an seinem Tischchen, nahm, halb der Wand zugewendet, eilig eine jener kleinen weißen Prisen, die so appetitlich wirkten wie Schnupftabak, die kühl in der Nase waren wie Pfefferminz – und am Ende so seltsame Folgen zeitigten.“ (S. 127).

Die Liebschaften mit Männern sind jedoch eher von einer Gefühl- und Rastlosigkeit geprägt, viele junge Männer prostituieren sich, um Geld zu verdienen. Das Leben in der Stadt strengt Andreas immer mehr an und er reist mit Fräulein Franziska aufs Land, um ihre Freundin zu besuchen. Dort begegnet er dem 18-jährigen Niels, in den er sich sofort verliebt, doch Niels legt sich nicht fest und genießt seine Anziehungskraft auf andere. Er folgt den beiden zurück nach Berlin und schwängert Fräulein Franziska. Als Niels erkrankt und fiebernd im Bett liegt, wacht Andreas über ihn und erzählt ihm seine Lebensgeschichte, er beendet sie mit den Worten: „So bin ich ein Dichter […] und du bist mein Traum.“ (S. 191). Er ist verzweifelt und enttäuscht hinsichtlich der unerwiderten Liebe seitens Niels. Als er plötzlich nach Hamburg verschwindet, versucht Andreas in sein Leben zurückzufinden. Doch es lässt ihn nicht los, er versucht Niels in Hamburg zu finden und gibt sich in einem Hotelzimmer den Texten von ihm hochverehrten Literaten wie bspw. Knut Hamsun, Walt Whitman, Oscar Wilde, Herman Bang, Kurt Verlaine und Stefan George hin. Sehnsüchtig hofft er auf eine Erwiderung und entwickelt ein klares Bewusstsein für sich und seine Gefühle, die ihn bis dahin immer verunsicherten: „Andreas gab sich dieser Liebe ganz hin, die er nicht als Verirrung empfand. Ihm kam es nicht in den Sinn, sie vor sich zu leugnen, sie zu bekämpfen als ‚Entartung‘ oder als ‚Krankheit‘. Diese Worte berührten die Wahrheit so wenig, sie kamen aus anderer Welt.“ (S. 239).

Als er von Niels einen Brief aus Paris erhält, folgt er prompt der Einladung ihn zu besuchen. Dort begeben sie sich auf ein rauschendes ausuferndes internationales Künstlerfest namens „Clo-Clo-Clo“, auf dem sich ältere Männer, weil sie es können und ihn begehren, auf Niels stürzen. Sie nennen ihn das „enfant du siècle“ und tragen ihn betrunken grölend durch die feiernde Menge. An diesem Abend kommt es zu einem handgreiflichen Eklat zwischen Niels und einer Frau, für die er in einer Zirkusgruppe arbeitet und bei der er wohnt. Er weigert sich dort länger zu arbeiten, weil ihm sein Körper dafür zu schade ist. Sie fordert ihn auf weiterzuarbeiten und fragt ihn geradeheraus: „Weißt du denn überhaupt, warum sie dich hochgehoben haben vorhin? – Du bist der Lustjunge von ganz Paris!!“ (S. 278). Andreas holt ihn aus der sich immer weiter eskalierenden Situation heraus und sie verlassen das Geschehen. Schnell bemerkt er, dass auch Niels Kokain schnupft. Sie durchstreifen das erwachende geschäftige einfache Paris im Morgengrauen, spazieren über die Märkte, wo sich die arbeitende Bevölkerung auf den bevorstehenden Tag vorbereitet. Bald jedoch ist Niels wieder verschwunden.

Andreas schreibt einen Brief an seine Freundin Ursula, bevor er endgültig seine Rückreise nach Hause antritt. In ihm heißt es: „Ich mag nicht in die Zukunft schauen, die Zukunft geht mich nichts an. Aber wenn ich mich einmal doch dazu verleiten lasse, sehe ich schwarz, was die Kunst und ihre Lebensberechtigung im Laufe der nächsten Jahrzehnte betrifft. Schwarz sehe ich auch, was den großen und innigen Traum von einer sittlich-freien, tiefsinnig-heiteren Humanität betrifft, den unsere Besten träumen. Die Unruhe dieser Zeit ist groß und gewaltig, ja, vielleicht war keine Zeit sich ihrer Unruhe, ihres Irgendwohin-Getriebenwerdens so sehr bewußt, wie eben diese unsere. Wohin dies alles führen soll, dieser große Tanz, wissen wir wohl am wenigsten. – Ich fürchte zu einer geistig-menschlichen Gemeinschaft und zur idealen Republik am wenigsten. Wir dürfen über die Lösung der Unruhe nicht Bescheid wissen, vielleicht ist diese Lösung ja auch einfach der große Abgrund, die Apokalypse, ein neuer Krieg, ein Selbstmord der Menschheit.“ (S. 292f.).

Achtung! Rassistische Begriffe auf den folgenden Seiten: S. 51, S. 91 f., S. 128, S. 129, S. 131, S. 269, S. 276

Empfohlene Zitation

Klaus Mann, Der fromme Tanz. Das Abenteuerbuch einer Jugend, Hamburg 1926, veröffentlicht in: Digitale Bibliothek verbrannter Bücher, <https://www.verbrannte-buecher.de/bibliothek/source-1> [28.03.2024].