Ernst Toller, Quer durch. Reisebilder und Reden, 1930

Quellenbeschreibung

Als jüdischer Autor, überzeugter Pazifist und politisch aktiver Sozialist kämpfte Ernst Toller in seinen Schriften und Reden gegen den unheilvollen Aufstieg Hitlers und seiner Anhänger. Auch aus dem Exil heraus agierte er öffentlich mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln gegen den Nationalsozialismus. In einem Protestbrief reagierte Toller auf die sogenannte Feuerrede von Goebbels, gehalten am 10. Mai 1933, u.a. mit den folgenden Worten: „Sie geben vor, die deutsche Kultur zu retten, und Sie zerstören die edelste Arbeit der Kultur. Sie geben vor, die deutsche Jugend zu erwecken, und Sie blenden ihren Geist, ihre Augen, ihre Sinne. Sie geben vor, die deutschen Kinder zu retten, und Sie vergiften ihre Herzen mit den schändlichen Phrasen eines stupiden Nationalismus und Rassenhasses. […] Sie geben vor, Deutschland von seinen ‚Schuldigen‘ zu reinigen, und Sie verfolgen die Schwächsten, die Juden. Sie geben vor, dass Sie und der deutsche Geist identisch sind, aber Ihre Taten sind die Ächtung der Ideen Goethes und Lessings, Herders und Schillers, Wielands und Rankes und aller jener Männer, die um die reinsten Werte Deutschlands gerungen haben und sie in die Welt trugen.“ (Dokument in: Toller, Ernst: Eine Jugend in Deutschland. Berlin 2024, S. 238f.).

In Tollers 1930 vom Berliner Gustav Kiepenheuer Verlag herausgegebener Schriftensammlung „Quer durch“, die Reiseberichte, Reden, Aufsätze und Arbeiten umfasst, kann die Leserschaft den dokumentierenden, beobachtenden und politisch aktiven Autor Ernst Toller jenseits seiner dramatischen Werke entdecken. Die ersten beiden und zugleich umfangreichsten Teile beinhalten die Mitschriften aus seinen Vortragsreisen nach Amerika und Russland, zu denen er eingeladen war. In seinen „Amerikanische[n] Reisebilder[n]“ vermittelt Toller Einblicke in die amerikanische Lebens- und Arbeitsrealität im Jahr 1929. Doch zuerst gibt er Auskunft über die Widrigkeiten seiner Einreise. Da er in Deutschland eine Haftstrafe absitzen musste, wird Toller auf Ellis Island genauestens von der Einwanderungskommission befragt: „Die Herren beraten miteinander und verkünden nach einigen Minuten, ich dürfe das Land der Freiheit unter der Voraussetzung betreten, daß ich mich nicht mit amerikanischer Politik befasse. Meine Aufenthaltserlaubnis sei an Stelle eines Jahres auf drei Monate begrenzt.“ (S. 13). Er besucht Fabriken, spricht mit den Arbeitern und macht auf das Fehlen von Gewerkschaften aufmerksam, das sich vor allem in folgenden Situationen auf verheerende Weise zeigt: „Wenn ein Arbeiter krank wird oder arbeitslos, hat er so gut wie keinen Schutz. Er muß seine Ersparnisse aufzehren, er ist schließlich auf private Wohltätigkeit angewiesen. […] Bezeichnend ist, daß die Arbeiter, die in Stahl- und Bergwerken schwerste Arbeit leisten, die geringsten Löhne erhalten.“ (S. 16). Fabriken wie bspw. Ford stellen absichtlich keine gewerkschaftlich agierenden Arbeiter ein, um mögliche Gegenwehr einzudämmen, die Arbeiterbewegung steckt hier noch in den Anfängen. Toller nimmt die Verhältnisse genaustens unter die Lupe, er besucht ein Gefängnis in der Nähe San Franciscos und spricht mit einem politisch aktiven Gefangenen, dem man eine Straftat angehängt und zu einer lebenslänglichen Haft verurteilt hat: „Mooney war einer der tätigsten sozialistischen Agitatoren im amerikanischen Westen. Er hat viele Arbeiter organisiert, hat Streiks geleitet, war einer der bestgehaßten Männer.“ (S. 33). Toller entzaubert das Bild Amerikas als Land der unbegrenzten Möglichkeiten und führt die unmöglichen Zustände in den Gefängnissen und den Umgang mit den Arbeitern dieses Landes äußerst kritisch den Lesenden vor Augen. Eine weitere wichtige Beobachtung ist der zum Teil irrational gepflegte und mit allen Konsequenzen gelebte Glaube an die Kirchen und etlichen Sekten, die in Amerika sehr viele AnhängerInnen fanden. Darüber hinaus stellt Toller durch seine intensive Zeitungslektüre fest, dass der Rassismus und die noch immer praktizierte Lynchjustiz gegen schwarze AmerikanerInnen dem Land und der Gesellschaft langfristig sehr schaden wird, indem er festhält: „Es wird sich einmal furchtbar an Amerika rächen, was es den Schwarzen an Schmerz und Unrecht zufügt. […], eigne Universitäten, Schulen, Hotels und Theater nehmen die von der weißen Rasse Unterdrückten auf. Heute kämpft ein Trupp von schwarzen Pionieren, morgen wird eine selbstbewußte Millionenarmee um Menschenrechte kämpfen.“ (S. 78).

Dahingegen nehmen sich Tollers Beobachtungen während seiner Vortragsreise durch Russland im Jahr 1926 deutlich positiver aus: „Die Stadt [Moskau, Verf.] wird beherrscht vom arbeitenden Menschen.“ (S. 92). Als engagierter Verfechter der sozialistischen Revolution und Unterstützer der Arbeiterbewegung schaut er sich in den russischen Arbeitsstätten um und bittet um eine kritische Bestandsaufnahme der Arbeitsbedingungen. Der von ihm angesprochene Arbeiter antwortet folgendes: „Unser Leben im Alltag ist ökonomisch nicht viel besser als früher, obwohl Sie etwas nicht vergessen dürfen: wir bezahlen nur einen Bruchteil der Friedensmiete, die früher vom Lohn abging. Aber in der Fabrik ist der Arbeiter Mensch, keine ‚Hand‘ wie früher. Unsere Sonntage sind reicher, wir haben Klubs, Bibliotheken, billige Theaterplätze, wir haben Sanatorien, in denen wir uns während des Urlaubs erholen, und wir hoffen, daß wir uns von Jahr zu Jahr bessere Lebensbedingungen erobern werden. Wir würden es heute schon angenehmer haben, wenn Sowjetrußland nicht von so vielen kapitalistischen Staaten boykottiert würde […].“ (S. 113f.). Bei Zusammenkünften mit russischen AutorInnen und AktivistInnen bemerkt Toller, dass der Antisemitismus in der russischen Gesellschaft noch immer zugegen ist, wenn er folgendes notiert: „Man wußte nicht, daß ich selbst Jude bin, und so hörte ich oft in privaten Gesellschaften antisemitische Bemerkungen.“ (S. 177).

Anhand seiner Reiseberichte schildert er die beginnende Teilung der Welt in die Machtblöcke Kapitalismus und Sozialismus. In Tollers ausgewählten „Reden und Aufsätzen“, die den letzten Teil des Buches ausmachen, setzt er zum einen Persönlichkeiten ein Denkmal, die ihn prägten, wie bspw. Gustav Landauer und Kurt Eisner, zum zweiten gibt er sowohl ausgewählte Reden an die deutsche Arbeiterschaft wieder als auch eigene Artikel sowie Eingaben und Schlussworte auf Veranstaltungen. Unermüdlich agierte er gegen das Aufkommen der Nationalsozialisten, folgende Zeilen aus dem Jahr 1929 unterstreichen dies: „Wie sich die Dinge in den nächsten Jahren in Deutschland entwickeln werden, ob in legalen oder illegalen Bahnen, wissen wir nicht. Aber eines wissen wir: wir stehen vor einer Herrschaftsperiode der Reaktion. Glaube keiner, die Periode eines noch so gemäßigten, noch so schlauen Faschismus werde eine sehr kurze Übergangsperiode sein. Was jenes System an revolutionärer, sozialistischer, republikanischer Energie zerstört, ist kaum in Jahren wieder aufzubauen.“ (S. 256f.).

Text: Katrin Huhn

Achtung! Rassistische und diskriminierende Begriffe auf folgenden Seiten: S. 19, S. 36f., S. 55ff., S. 59f., S. 67f., S. 73-78, S. 118, S. 189, S. 237, S. 239, S. 262, S. 268

Empfohlene Zitation

Ernst Toller, Quer durch. Reisebilder und Reden, Berlin 1930, veröffentlicht in: Digitale Bibliothek verbrannter Bücher, <https://www.verbrannte-buecher.de/bibliothek/source-15> [01.05.2025].