Heinrich Mann sprach sich bereits früher als die meisten seiner ZeitgenossInnen gegen den Nationalsozialismus öffentlich und in seinen Schriften aus. Aus diesem Grund sollte er so schnell als möglich als Präsident der Akademie der Wissenschaften in der Sektion Dichtkunst nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten abgesetzt und verhaftet werden. Seiner Festnahme konnte er knapp entgehen, im Februar 1933 verließ Mann das Land.
1932 erschien im Paul Zsolnay Verlag Heinrich Manns letzter Essayband „Das öffentliche Leben“ vor seiner Emigration, der verschiedene Betrachtungen zu ausgewählten Themen umfasst: neben kultur- und literaturkritischen Beiträgen und Reden sind hier sowohl verschiedene Rundfunkansprachen sowie öffentliche Forderungen an die deutsche Gesellschaft als auch Manns Bemühungen um eine deutsch-französische Verständigung versammelt.
Der erste Teil beinhaltet Gedenkreden und Ansprachen zu wichtigen literarischen und historischen Persönlichkeiten wie bspw. Heinrich Heine, Gustav Stresemann oder Arthur Schnitzler. Ein Abschnitt thematisiert Manns Betrachtungen zur Literaturproduktion. So äußert er sich bspw. über das vielgelesene Buch „Im Westen nichts Neues“ von Remarque schlussfolgernd: „Dies war nun ein Buch, das fast alle gelesen, über das die meisten gesprochen haben: wie verschieden! Man braucht sich nur in wenigen der vielen Volkskreise umzuhören, schon ist dasselbe Buch bald eine Sensation und eine Art Schauerroman, bald eine wertvolle Lehre. Einmal werden tausend Schönheiten darin entdeckt, anderswo aber liest man es nicht einmal zu Ende.“ (S. 60) und versteht nicht, warum die Verfilmung in Deutschland nicht gezeigt werden soll. Er spricht sich dazu bei einer Kundgebung der Deutschen Liga für Menschenrechte folgendermaßen aus: „Sie, verehrte Zuhörer, kennen vielleicht nicht alle die Bilder des Films, aber Sie kennen seinen Geist, da Sie alle das Buch von Remarque gelesen haben. Derselbe menschliche und wahre Geist des Buches, der uns Deutschen in der Welt so viel Ehre gemacht hat, er beseelt auch den Film. Der Film ist gerecht; er unterscheidet nicht Freund und Feind, für ihn gibt es nur Menschen, die grade so gut hätten Freunde sein können. Warum mußten sie Feinde werden?“ (S. 136). Als Präsident der Akademie der Künste in der Sektion Dichtkunst ist Mann mehr als beunruhigt über die Zensurmaßnahmen der Nationalsozialisten, die nach und nach Bücher und Filme verbieten. Er führt dazu kritisch aus: „Die Zensuranträge im Preußischen Landtag folgen zwanglos aus allen bisherigen Angriffen auf die Geistesfreiheit. Zuerst schützt man die Jugend mit Gewalt gegen Schmutz und Schund, womöglich aber gegen die ganze Literatur. Dann verbietet man den Erwachsenen die lehrreichen Theaterstücke. Sie sollen nicht aus Stücken wie ‚Die Verbrecher‘ lernen dürfen, daß Gesetz und Gesellschaft falsch urteilen, die wirklichen Probleme noch gar nicht kennen, und daß Begriffe wie ‚Verbrecher‘ konventionell und rückständig angewendet werden. Die Leute sollen rückständig bleiben. Das nennen die Macher des Zensurgesetzes dann Sittlichkeit. Wo in der Politik das Wort Sittlichkeit fällt, ist es immer Rückständigkeit, die gemeint ist und gewünscht wird.“ (S. 134).
Ununterbrochen versucht Mann seiner Leserschaft die Augen über die Nationalsozialisten zu öffnen und stellt unumstößlich fest: „Sprechen wir von der Nationalsozialistischen Arbeiterpartei! Am Anfang steht Betrug; die Partei ist in Wirklichkeit nichts von allem, was sie zu sein vorgibt, weder national noch sozialistisch und besonders keine Arbeiterpartei. Sie arbeitet seit ihrer Gründung mit dem Geld einiger reichen Leute und für die Interessen derselben Großkapitalisten. Dies bedingt zweitens Verrat und Ausbeutung. Hundertfünfzigtausend arme Menschen schenken den Führern monatlich dreihunderttausend Mark. Sie wissen nicht, was sie tun, sie sind Opfer harter Wirtschaftsbedingungen und ihrer zerrütteten Gemüter. Eine besser regierte Republik könnte sie heilen. […] In dem albernen Gewäsch jenes Hitlers wird ihnen gesagt, daß die Arbeiter nur der Gewalt zu gehorchen haben und daß eine Herrenrasse gezüchtet werden muß. Dafür geben die Bedauernswerten ihr Geld und ihren Glauben!“ (S. 257f.).
Erschreckend prophetisch lesen sich diese Zeilen aus dem Jahr 1932: „Sie unterschätzen ihr eigenes Blutbad. In ihren Zeitungen zählen sie immer nur einige namhaftere Personen auf, zum Beispiel Büchner, Gutzkow und mich – Lebende und Tote, es kommt ihnen nicht darauf an, wen sie an die Wand stellen. Aber im Ernstfall wird es bestimmt bei den Namhafteren nicht bleiben. Sie werden die Massen vergasen müssen. Wenn das national ist! Dagegen werden sie ein für alle Male nicht den kleinsten nationalen Krieg führen; dafür wären sie im Innern viel zu sehr beschäftigt. Keine auswärtige Macht, die über Vernichtungsmittel verfügt, hätte von dem Dritten Reich etwas anderes zu erwarten, als die demütigste Unterwerfung. Die Neigung zum Mord, zum Verrat und Betrug muß einer Partei gleich mitgegeben sein, dann finden sich in ihr die passenden Typen zusammen. Von den Kommunisten kann nicht behauptet werden, daß bei ihnen die Verbrecher überwiegen; denn sie sind keine Partei des Verbrechens.“ (S. 259).
Mann fordert nachdrücklich die Deutschen auf nicht die NSDAP zu wählen: „Wir wollen keinen Krieg und wollen nicht, daß an dem verächtlichen Rauschgift des Nationalismus noch einmal die Millionen sterben oder Bettler werden.“ (S. 260) und gleichermaßen ermahnt er die Regierung der Weimarer Republik: „Man muß nur stark genug sein, um diese Republik zu regieren. Es ist vor allem eine Frage der Überzeugung und des Könnens, ob man fertig wird mit Verbrechern, Schwätzern und Diktatoren, den Übergriffen reicher Leute und irgend einem kleinen Leichtsinn, der nun mal den Krieg liebt.“ (S. 261f.). Er entlarvt hier nach und nach die Machenschaften und die Gefahr der Nationalsozialisten für die deutsche Gesellschaft, indem er ausführt: „Gesetzt aber, sie siegen und errichten ihre dumme Gewaltherrschaft: für wen herrschten sie dann eigentlich? Für ihre Gläubiger, eine gewisse Anzahl Personen, die sich ‚die Wirtschaft‘ nennen, und die schon zweimal den Staat zugrunde gerichtet haben, dessen Geschäfte sie beeinflußten. Sie haben das Erste Reich in den Krieg, das Zweite in den Nationalsozialismus gehetzt. […] Das Dritte Reich wird scheitern an seiner Unfähigkeit und an seiner Abhängigkeit. Dann aber käme ein ungemein blutiger Abschnitt der deutschen Geschichte. Das Reich der falschen Deutschen und falschen Sozialisten wird gewiß unter Blutvergießen leichter werden, aber das ist noch nichts gegen das Blut, das fließen wird bei seinem Sturz. Dann holt die Demokratie alles einst Versäumte nach, dann hat sie gekämpft, dann ist sie erlebt, - und übrigens wird es dann nicht mehr die unvollständige Demokratie des abgeschlossenen Zeitalters sein, sondern die wahre, die das Volk meint.“ (S. 311).
Für die französische Gesellschaft sind hier drei französische Texte versammelt, in denen Mann u.a. über den Faschismus in Deutschland berichtet. Darüber hinaus positioniert er sich klar gegen die Ausmaße des Antisemitismus in Deutschland, der sich in alle Teile der Gesellschaft ausbreitet: „Man hat noch niemals die Bedeutung eines Menschentyps in dem Grade übertrieben, wie der Antisemit seinen Juden übertreibt. Antisemitisch angesehen, stammt der moderne Kapitalismus plötzlich nicht mehr von der Maschine, sondern vom Juden. Die Großstadt ist keine Schöpfung des Kapitals, sondern des Juden. Ausbeutung der Arbeitskraft und Zinswucher sind jüdische Erfindungen; Verelendung der Massen, der sittliche Verfall der Nationen begleiten den Schritt des Juden. Seine Werkzeuge sind sowohl der Liberalismus als die Demokratie, der Sozialismus nicht weniger als der Kapitalismus, vor allem aber die böse, böse Vernunft, auch jüdischer Intellekt genannt. Es ist schrecklich.“ (S. 313).
Achtung! Diskriminierende Begriffe auf den folgenden Seiten: S. 190, S. 241
Heinrich Mann, Das öffentliche Leben. Gesammelte Aufsätze, Berlin 1932, veröffentlicht in: Digitale Bibliothek verbrannter Bücher, <https://www.verbrannte-buecher.de/bibliothek/source-8> [18.10.2025].