Bücher- und Fahnenverbrennungen von Oppositionsparteien und Gewerkschaften

Die Verbote, oft unter dem Vorwand der Korruption durchgeführte Enteignungen, Verhaftungen, Verfolgungen, Terrorisierungen, betrafen nicht nur die Parteien der Arbeiterbewegung (KPD, KPO, SAP, SPD) und ihre Gewerkschaftsorganisationen, sondern auch Hilfsorganisationen wie die Rote Hilfe Deutschlands, die politische Gefangene und ihre Angehörigen unterstützte, die Internationale Arbeiter-Hilfe (IAH), pazifistische Organisationen wie die Liga für Menschenrechte oder die Deutsche Friedensgesellschaft. Sie betraf Vereine und Verbände, Schriftsteller:innenorganisationen wie den Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller, sie betraf Druckereien und Verlage, sofern sie die Krise überstanden hatten, regionale und überregionale Zeitschriften, die gesamte regionale und überregionale linke Parteipresse, „Vorwärts“ und „Volksblatt“ der SPD, die kommunistische „Arbeiterzeitung“, die „Rote Fahne“ oder das kommunistische „Ruhrecho“ und viele weitere.

Ob Parteien, Gewerkschaften, Hilfsorganisationen, Künstler:innen- oder Schriftsteller:innenverbände – mit der Zerstörung, die häufig auch erste Verbrennungen bedeuteten, oder dem Raub ihrer Literatur, ihrer Broschüren und ihrer Druckereien wurden ihnen die materiellen Grundlagen ihrer Arbeit genommen. Ohne Schulungsmaterial und anderen Schriften wurde ihnen die politische Bildungs- und Aufklärungsarbeit enorm erschwert. Dies ist der Kontext der ersten Bücherverbrennungen 1933, die noch vor der studentischen Aktion „Wider den undeutschen Geist“ ab März, und teilweise parallel zu dieser bis in den Mai 1933 hinein stattfanden. In vielen Fällen leisteten Arbeiter und Funktionäre Widerstand, versuchten etwa die Gewerkschaftshäuser mit Waffengewalt zu verteidigen oder organisierten lokale Streiks gegen die Zerschlagung ihrer Organisationen, doch der Widerstand blieb lokal und unorganisiert, da es zu keiner Einheitsfront der großen Gegenparteien SPD und KPD gekommen war.

Wenige Gruppen waren auf die Illegalität gut vorbereitet. Ab dem 23. Februar wurden SA, SS und Stahlhelm-Truppen als „Hilfspolizisten“ eingesetzt, um, wie Hermann Göring (zu dieser Zeit Reichsminister ohne Geschäftsbereich) behauptete, „zunehmenden Ausschreitungen von linksradikaler, insbesondere kommunistischer Seite“ zu begegnen. Mitglieder dieser drei Gruppierungen drangen unter Polizeischutz in Partei- und Gewerkschaftshäuser ein, beschlagnahmten und zerstörten die wertvollen Druckereien, randalierten und verwüsteten Büro- und Arbeitsräume und warfen in nicht wenigen Fällen Bücher, Zeitungen, Broschüren, Fahnen, Flugblätter, Akten und Möbel durch die Fenster auf die Straße. Die so entstandenen Haufen übergossen sie mit Benzin und zündeten sie daraufhin an. In Berlin (15. März), Bochum (10.-11. März), Braunschweig (9. März), Bremen (22. April), Bremerhaven (6. Mai), Dresden (7. und 8. März), Flensburg (20. März), Heidelberg (11. März), Hirschberg (2. Mai 1933), Leipzig (9. März und 2. Mai), Kahla (April), Mühlhausen (April), Münster (31. März), Pirna (8. März), Rudolstadt (April 1933), Würzburg (10. März) und Zwickau (8. März) brannten Scheiterhaufen als Teil des faschistischen Terrors gegen die Arbeiterparteien, ihre Gewerkschaften, Verlage, Zeitungen und Zeitschriften. Die hier aufgezählten Orte dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie ›nur‹ einen kleinen Ausschnitt eines völlig systematischen Terrors gegen die Arbeiterbewegung im März und April darstellen. Er fand parallel zu antisemitischen Gewaltexzessen in diesen Wochen statt und betraf in ganz Deutschland jede lokale Gewerkschafts- und linke Parteivertretung. Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese bislang 20 dokumentierten spontanen Verbrennungsaktionen in 17 Städten auf die studentischen Organisatoren der Aktion „Wider den undeutschen Geist“ inspirierend gewirkt haben.

Lokale und nationale Tragweite

Vielerorts wurden die Partei- und Gewerkschaftshäuser – wie in Braunschweig das „Rote Schloss“, der hiesige Sitz der SPD und einiger Gewerkschaftsverbände – in spontan eingerichtete Haftlokale, in Verhör- und Folterstellen verwandelt, in denen Funktionäre und Betriebsräte schwer misshandelt wurden. In Bremen wurde bspw. das Johann-Gossel-Haus der KPD am 1. März 1933 besetzt und die Druckerei „beschlagnahmt“. Das Gebäude wurde sechs Wochen später der SA übereignet, am 22. April dem SA-Sturmbann III/75 übergeben. Das Haus diente nun als Folterstätte für politische Häftlinge der Arbeiterbewegung. Ein durchaus typischer Vorgang in diesen Wochen und Monaten. Sozialdemokraten, Sozialisten, Kommunisten und Gewerkschaftsangehörige wurden verhaftet, Tausende von ihnen in eines der frühen Konzentrationslager gesteckt. Mitunter wurden sie, wie in Breslau Mitglieder der SAP, entwürdigend durch die Straßen getrieben. Die Bücherverbrennungen 1933, das zeigt nicht nur diese erste Phase, hatten auch die Funktion, einen nationalistischen, politischen Konsens herzustellen – sei es durch die Verhaftung, Misshandlung und Ermordung von Personen, sei es durch die Zerstörung der Arbeitsgrundlagen der politischen Opposition, durch das Verbot ihrer Zeitschriften und die Zerstörung der Mittel ihrer Produktion und Verbreitung, wie etwa den wertvollen Druckmaschinen. SS und SA drangen in dieser Zeit ebenso in Wohngemeinschaften und ›Künstlerkolonien‹ linker Intellektueller, Künstlerinnen und Künstler, in Bibliotheken, Kunstschulen und Museen wie das Berliner Anti-Kriegsmuseum ein. Auch dort kam es zu Verhaftungen, zur Zerstörung und Beschlagnahmung von Literatur und Arbeitsmitteln.

Die gesetzliche Auflösung der freien Gewerkschaften der Arbeiterbewegung erfolgte am 10. Mai, an dem Tag, an dem auch die studentische „Aktion wider den undeutschen Geist“ mit Bücherverbrennungen in deutschen Universitätsstädten abschloss. Am selben Tag gründeten die Nazis die Deutsche Arbeitsfront (DAF), eine einheitliche Organisation der „Arbeitnehmer“ und „Arbeitergeber“ zugleich. Ihr Reichsführer Robert Ley (1890-1945) verkündete im Juni 1933 im „Völkischen Beobachter“ , der „natürliche Führer“ eines Betriebs sei „der Unternehmer“, der „Betriebsrat eines Werks“, bestehend aus „Arbeitern, Angestellten und Unternehmern“, habe eine „nur beratende Stimme“. Mitte der 1920er Jahre hatte Adolf Hitler in seinem Buch „Mein Kampf“ im Kapitel „Zur Gewerkschaftsfrage“ geschrieben: „Nationalsozialistischer Arbeitnehmer und nationalsozialistischer Arbeitgeber sind beide Beauftragte und Sachverwalter der gesamten Volksgemeinschaft.“

weiter zu Antisemitische Pogrome im März 1933