Literaturpolitische Motive der Bücherverbrennungen 1933
Ungeachtet der Listen, die die Berliner Volksbibliothekare erstellten, wurden lokal verschiedene Bücher in die Flammen geworfen. Eine Expert:innenkommission am Moses Mendelssohn Zentrum hatte es sich 2003 zur Aufgabe gemacht, diese Bücher zu recherchieren. Die Auswahl der Bücher war literaturpolitisch, nicht fachlich oder literaturwissenschaftliche begründet. Im Wesentlichen richteten sich die Schwarzen Listen im Vorfeld der Bücherverbrennungen 1933 gegen folgende Literaturrichtungen, wobei sich die genannten Beispiele auch gegenseitig überlagern:
Bücher jüdischer Autor:innen (z.B. Joseph Roth, Schalom Asch, Jakob Wassermann, Lion Feuchtwanger oder Max Brod).
Marxistische Schriftsteller:innen und Theoretiker:innen (z.B. Anna Seghers, Ernst Toller, Karl Grünberg, Rosa Luxemburg, Karl Korsch, Georg Lukács oder Fritz Sternberg), hierzu zählten auch sowjetische Autor:innen wie Maxim Gorki, Alexandra Kollontai, Sergei Tretjakow oder Lenin, Leo Trotzki, Anatoli Lunatscharski.
Pazifistische Autor:innen, die sich gegen Krieg engagierten oder die Heroisierung des Fronterlebnisses im Ersten Weltkrieges anzweifelten (z.B. Bertha von Suttner, Ludwig Quidde, Friedrich Wilhelm Förster, Adrienne Thomas, Erich Maria Remarque, Ernst Johannsen).
So genannte Autor:innen der Großstadt, die wegen ihrer sprachlich experimentellen und sozialkritischen Beschreibungen urbaner Milieus und Lebensentwürfe von den Nazis auch als „Asphaltliteraten“ diffamiert wurden (z.B. John Dos Passos, Alfred Döblin, Maria Leitner).
Moderne französische und amerikanische Autor:innen (z.B. André Gide, Henri Barbusse, Ernest Hemingway, Upton Sinclair, Jack London).
Feministinnen und Autorinnen, deren Werke das traditionelle weibliche Rollenverständnis infrage stellten (z.B. Hilde Lion, Anna Blos, Louise Schroeder, Irmgard Keun, Christa Anita Brück, Gina Kaus).
Kritische Publizist:innen und Journalist:innen (z.B. Theodor Wolff, Georg Bernhard, Carl von Ossietzky, Kurt Tucholsky).
Progressive Wissenschaftler:innen (z.B. Sigmund Freud, Magnus Hirschfeld, Paul Tillich).
Sozialdemokrat:innen und Gewerkschafter:innen (z.B. August Bebel, Ferdinand Lassalle, Gustav Radbruch, Fritz Naphtali, Marie Juchacz, Siegfried Aufhäuser, Otto Suhr).
Vertreter des politischen Liberalismus, die sich in ihren Publikationen zur demokratischen Grundordnung der Weimarer Verfassung und kritisch gegenüber den Nationalsozialisten positionierten (z.B. Hugo Preuß, Walther Rathenau, Theodor Heuss).
Schwerer einordnen lassen sich demgegenüber Autoren wie Hanns Heinz Ewers, Max Barthel oder Waldemar Bonsels, die 1933 wegen einzelner ihrer älteren Buchtitel ebenfalls auf die Schwarzen Listen gesetzt wurden, obwohl sie sich inzwischen offen zum Nationalsozialismus bekannten.