Das Beispiel Göttingen – Bücherverbrennungen als Postkarte

Scheiterhaufen der studentischen Göttinger Bücherverbrennung am 10. Mai 1933. Hinausragt ein Stock, an dem NS-Studenten ein Schild mit dem Namen Lenins befestigten. Auch dieses Foto wurde als Postkarte in Göttingen verkauft.
Scheiterhaufen der studentischen Göttinger Bücherverbrennung am 10. Mai 1933. Hinausragt ein Stock, an dem NS-Studenten ein Schild mit dem Namen Lenins befestigten. Auch dieses Foto wurde als Postkarte in Göttingen verkauft.
Die Göttinger Bücherverbrennung auf dem „Adolf-Hitler-Platz“, dem heutigen Albaniplatz vor einer Schule. Das Foto wurde als Postkarte in Göttingen verkauft.
Die Göttinger Bücherverbrennung auf dem „Adolf-Hitler-Platz“, dem heutigen Albaniplatz vor einer Schule. Das Foto wurde als Postkarte in Göttingen verkauft.

In Göttingen besaß der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund seit 1931 eine absolute Mehrheit in der Studentenkammer. Heinz Wolff (1910-1987), 1931 in die NSDAP und den NSDStB eingetreten, war seit 1932 Vorsitzender der Göttinger Studentenschaft und leitete hier die Organisation der Bücherverbrennung. Am 5. Mai erschien ein von ihm unterschriebener Aufruf an die „deutschen Volksgenossen“ des „Kampfausschusses Göttinger Studenten“ in der „Göttinger Zeitung“. Jeder „deutsche Volksgenosse“, so forderte Wolff auf, säubere seine Bibliothek und gebe das „zersetzende Schrifttum“ in den eigens eingerichteten Sammelstellen ab. Der NSDStB sammelte in Göttingen Bücher aus Buchhandlungen und der Volksbibliothek. Die Veranstaltung begann in Göttingen bereits am frühen Abend des 10. Mai zunächst im Auditorium Maximum der Georg-August-Universität. Dort hielt der Mediävist und seit wenigen Tagen auch Rektor der Göttinger Universität Prof. Friedrich Neumann (1889-1978) eine Eröffnungsrede. Neumann, der zwar 1945 seinen Lehrstuhl verlor, jedoch 1954 ordentlich emeritiert wurde, sprach im „wir“ der Volksgemeinschaft und kam auf Erich Maria Remarques (1898-1970) Antikriegsroman Im Westen nichts Neues zu sprechen, um an ihm eine Trennung der zum Kanon zu zählenden Literatur zu verdeutlichen:

„Als feindlich erkennen wir, was auf unsere Volkheit und auf unser persönliches Erleben zersetzend und auflösend wirkt; uns zugehörig das, was uns steigert und besser macht. Nicht das ist das Erregende, das tausende und abertausende Remarque gekauft haben, die Gefahr liegt darin, daß tausende, die es besser wissen mußten, dies Buch als echte Kriegserinnerung hinnehmen konnten. Wir haben nur dann ein Recht, wider den undeutschen Geist zu kämpfen, wenn wir unablässig daran arbeiten, daß unser Volk sein gesundes Wachstum behält und seine innere Eigenart vollendet.“

Nach Neumann sprach der Germanist und Privatdozent Gerhard Fricke (1901-1980). Seine Rede wurde in der „Göttinger Hochschulzeitung“ vom 18./19. Mai 1933 abgedruckt. 1965 erklärte ihr Verfasser, zu diesem Zeitpunkt Professor für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Köln, er habe die „Ansprache zur Bücherverbrennung […] nach zweimaliger Ablehnung der dringenden Aufforderung des Rektors, nach dessen persönlichem Besuch und dem Hinweis, daß sonst unverantwortliche Personen sich dieser Sache bemächtigen würden, widerstrebend“ übernommen. In seiner Rede zur Bücherverbrennung bekannte Fricke 1933 „voller Scham“: „Wir haben diesen undeutschen Geist aufkommen lassen, geduldet, womöglich gefördert“, und fuhr fort:

„Wie sah es denn aus bei uns? Widerstandslos hatten wir zugesehen, wie von allen Seiten eine Invasion fremden Geistes, undeutscher und widerdeutscher Anschauungen über uns hereinbrach, wie im Inland, gestützt auf die Allmacht meist jüdischer Buch- und Zeitungsfabriken, eine dünne Schicht geschäftiger Literaten, physisch heimatlos nomadisierend, geistig noch am ehesten in Paris oder Wien oder Warschau zu Hause, – wie diese dünne Schicht die Lähmung des deutschen Geistes nach der großen Katastrophe ausnutzte, um sie zu verewigen, um jenen Nebel zu erzeugen, in dem alle Begriffe vertauscht, alle gesunden, natürlichen und reinen Gefühle verächtlich wurden, in dem jede geistige und moralische Orientierung verloren gehen mußte. Was im Chaos von 1918 heraufgespült war, die Hefe und der Bodensatz, das hielt sich mit hundert Polypenarmen an der Oberfläche fest und sorgte für die dauernde Trübung des Volksbewußtseins.“

Nach dieser Veranstaltung im größten Saal der Universität zog ein Fackelzug von SA- und SS-Studenten, der Stahlhelm-Hochschulgruppe sowie den Korporationen südwärts in die Innenstadt zum Albaniplatz (damals Adolf-Hitler-Platz). Dort war am Nachmittag ein Scheiterhaufen errichtet und mit Büchern, Zeitungen, Broschüren und Flugblättern so bedeckt worden, dass von den Holzscheiten nichts mehr zu sehen war. Ein Stock ragte aus dem Haufen heraus. Auf dem Schild, das an ihm befestigt war, stand der Name ›Lenin‹. Als der Fackelzug auf dem Albaniplatz angelangt war, wurde der Haufen angezündet, und Heinz Wolff ergriff das Wort. Der Begriff „undeutscher Geist“ sei durch den Verstand nicht klar zu fassen, was darunter genau zu verstehen sei, so Wolff, eine „sophistische Frage“, die man mit dem „jüdischen Literatentum“ der letzten 14 Jahre nun hinter sich lasse. Die neun Feuersprüche rief Wolff nicht wörtlich aus, sondern nannte neben den zu verbrennenden Schriften die Namen von Autoren, die er als positiv auffasste. Dies waren Adolf Hitler (1889-1945), Friedrich Lienhard (1865-1929), Ernst Krieck (1882-1947), Arthur Moeller van den Bruck (1876-1925), Hanns Johst (1890-1978) und Otto Erler (1872-1943). Die Veranstaltung schloss in Göttingen mit dem Singen von drei Liedern. Das erste war das von Johann Gottfried Christian Nonne 1814 anlässlich der „Völkerschlacht“ von Leipzig geschriebene „Flamme empor“. Es folgte, wie an vielen anderen Scheiterhaufen an diesem Abend, das Horst-Wessel-Lied und das Deutschlandlied.

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