Hanskarl Leistritz‘ und Gerhard Krügers Entwurf einer Kampagne „gegen jüdische Zersetzung“

Das erste Dokument, das den Plan einer öffentlichen Bücherverbrennungsaktion mit vorhergehender Kampagne an den „Hochschulorten des Reiches“ beinhaltet, trägt das Datum vom 2. April 1933, einen Tag nach dem „Judenboykott“. Es handelt sich um den weit gediehenen Entwurf eines Schreibens ohne Adressaten, maschinell unterzeichnet und vermutlich ausgearbeitet von Gerhard Krüger, dem Vorsitzenden der DSt, und Hanskarl Leistritz (1909-unbekannt), dem Leiter des neu gegründeten Hauptamtes für Presse und Propaganda, in der Absicht verfasst, ein Schreiben in ähnlicher Form an die Einzelstudentenschaften abzuschicken. Darin heißt es:

„Die Deutsche Studentenschaft, umfassend die Studierenden an allen deutschen Hochschulen, überparteiliche Organisation unter rein nationalsozialistischer Führung, führt folgende Aktion durch: Öffentliche Verbrennung jüdischen zersetzenden Schrifttums an den Hochschulorten des Reichsgebiets. I. Sinn der Aktion. Gedanke: Der jüdische Geist, wie er in der Welthetze in seiner ganzen Hemmungslosigkeit zum Ausdruck kommt, hat bereits im deutschen Schrifttum erheblichen Niederschlag gefunden und muß aus diesem ausgemerzt werden.“

Das vierseitige Schreiben zeigt einen detailliert ausgearbeiteten, wenn auch noch weitgehend undatierten Plan, von dem Vieles in dieser oder ähnlicher Form in den folgenden Wochen umgesetzt werden sollte: Bedienung der Presse mit einem Artikeldienst, öffentliche Vorträge, die „Bekanntgabe von 12 Thesen der Deutschen Studentenschaft zwecks Reinigung deutschen Schrifttums“ im Rahmen eines, so Krüger und Leistritz, „großzügigen Aufklärungsfeldzugs“ – ferner die Aufforderung der Studenten zum ›Büchersammeln‹ in Haushalten von Bekannten und Freunden, in öffentlichen Büchereien, die Bildung von Aktionskomitees und die öffentliche Bücherverbrennungen am 10. Mai an den Hochschulorten.

Die Vermutung liegt nahe, die DSt-Führung habe nicht erst am 1. oder 2. April über eine solche Aktion nachzudenken begonnen, wenn sie auch im Entwurf noch nicht mit dem späteren Namen der Kampagne „Wider den undeutschen Geist“ bezeichnet wird. Die Autoren nannten sie zunächst „Aktion der Deutschen Studentenschaft gegen jüdische Zersetzung“ und griffen mehrfach die Formulierung der „jüdischen Welthetze“ auf, die den Boykott offiziell legitimieren sollte. Es ist gut möglich, dass die DSt – zeitgleich zu den fortlaufenden Verbrennungsaktionen seit März – einen letzten Anstoß zu „öffentlichen Bücherverbrennungen“ an den „Hochschulorten des Reichsgebiets“ durch den „Judenboykott“ erhielt, wie er seit Ende März angekündigt worden war und der einen Tag zuvor von der Deutschen Studentenschaft auch auf die Hochschulen ausgedehnt worden war. Der Entwurf vom 2. April zielte offenbar auch auf einen ›Schulterschluss‹ mit den korporierten Studenten, von denen sich ein kleiner Teil vom NS-Studentenbund 1932 abgewandt hatte. Die Führung der Deutschen Studentenschaft hatte just von ihrer bevorstehenden staatlichen Wiederanerkennung erfahren und so wird darin das Wartburgfest von 1817 als eine vorausgegangene Parallele zur bevorstehenden Aktion begriffen. Krüger und Leistritz formulieren darüber hinaus:

„Der Staatsakt, der am 20. April 1933 in der Aula der Berliner Universität stattfindet, wird durch die Reichsanerkennung der Deutschen Studentenschaft, den Erlaß eines Preußischen Studentenrechtes, die Anerkennung der Straffreiheit der Mensur, sowie durch die Regelung vom Umfang des SA-Dienstes der Korporationsstudenten eine derartige Stabilisierung der Deutschen Studentenschaft bringen, daß sie sich für die Erneuerung des Reiches wirksam einsetzen kann.“

Die Rolle von Leistritz als vorderster Akteur ist auch deshalb interessant, da er als Hauptleiter des in diesen Tagen gegründeten „Hauptamtes für Presse und Propaganda“ der DSt zu diesem Zeitpunkt weder Mitglied in der NSDAP noch im NSDStB, sondern ein korporierter Turnstudent war. Anders Gerhard Krüger, der seit 1926 in der SA aktiv war und zum NSDStB gehörte. Sie stellten die Aktion explizit in den Kontext der Nazi-Umdeutung des 1. Mai, indem sie Bezug auf einen studentischen Aufmarsch in Göttingen an diesem Tag nahmen.

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