Zensur und der Verband Deutscher Volksbibliothekare

Es ist gut möglich, dass sich die Deutsche Studentenschaft mit der Frage, wessen Bücher im Einzelnen eigentlich verbrannt werden sollten, zunächst nicht eingehend befasste. Dies bedeutete jedoch nicht, die Studierenden hätten nicht gewusst, gegen wen sich die Verbrennungen richten sollten. Im Kaiserreich und in der Weimarer Republik gab es immer wieder erfolgreiche Versuche von national-konservativen und „völkischen“ Vereinen und Verbänden, einzelne Werke zu verbieten oder Publikationsverbote gegen linke Schriftstellerinnen und Schriftsteller durchzusetzen. Der Verwaltungs- und Justizapparat in der Weimarer Zeit war wesentlich aus dem Kaiserreich übernommen worden, und so tummelten sich hier antidemokratische und antisemitische Angestellte, Richter und Staatsanwälte. Sie waren zur Stelle, wenn eine ›Ehre des Frontsoldatentums‹ oder der Nation „beschmutzt“ schien, und deuteten die Gesetze in dieser Richtung aus. Prozesse und Verbote vor 1933 betrafen fast ausnahmslos linke, demokratische und pazifistische Schriftsteller wie Carl Einstein (1885-1940), Berta Lask (1878-1967), Walter Hasenclever (1890-1940) oder Kurt Tucholsky (1890-1935). Hinzu kam eine Nachzensur- und Beschlagnahmehoheit der Polizei in der Weimarer Republik, die nach dem Reichstagsbrand und der „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“ vom 28. Februar 1933 noch einmal erheblich erweitert wurde.

Der 1922 gegründete „Verband Deutscher Volksbibliothekare“ (VDV), in dem sich die Bibliothekare der öffentlichen Volksbibliotheken der Reichsländer organisierten, gehörte ganz sicher nicht zu den Vorreitern in den Bemühungen, Bücher möglichen Leserinnen und Lesern zu entziehen. Der Verband sah sich im Besitz eines Auftrags der „freien Volksbildung“, die „alle Weltanschauungen“ übergreife, wie es ihr späterer Vorsitzender Wilhelm Schuster (1888-1971) in der Verbandszeitung Bücherei und Bildungspflege 1927 programmatisch formuliert hatte. Doch die scheinbare Liberalität der Bibliothekare im Verband hatte ihre Grenzen. Denn noch über allen Weltanschauungen thronte dort die Vorstellung einer unbedingten Einheit und ›Eigenart‹ der Nation. Der Nationalismus im Bibliothekarverband kam aus einer neukantianisch kulturwissenschaftlichen Tradition. Er wurde nicht biologistisch mit einer ›deutschen Rasse‹ begründet, sondern mit moralischen und kulturellen Normen, die angeblich exklusiv zu einem „deutschen Wesen“ gehörten. Schließlich verstand es Schuster auch als Bildungsauftrag, den Einzelnen „bewußt auf den Dienst an und in der Volkgemeinschaft“ vorzubereiten, denn dort müsse jede Persönlichkeit ihre „Vollendung“ suchen.

1933 teilte sich Schuster den Vorsitz im Verband mit dem jungen Bibliothekar Dr. Wolfgang Herrmann (1904-1945) und rühmte sich ob seiner geleisteten Arbeit: die Volksbibliotheken seien dank des Kampfes der Volksbibliothekare im letzten Jahrzehnt „sauber“, jedoch die Leihbüchereien, „jene unscheinbaren, aber verheerend wirkenden Sammlungen ekelhaftester Fäulnisliteratur“, seien „üble Einrichtungen“, ein „Hort von Schmutz und Schund“. Im Vorstand des Volksbibliothekaren-Verbands war der gedankliche Weg von der Moral zur Biologie, von den ›deutschen Normen‹ hin zur ›deutschen Rasse‹, mit der das „deutsche Wesen“ jeweils begründet wurde, Anfang der 1930er Jahre recht kurz. Schuster, seit 1931 als Direktor der Hamburger Öffentlichen Bücherhallen auch für die dortigen Volksbibliotheken direkt verantwortlich, hatte sich im März 1933 für eine „Entlastung des Bücherverstandes von solchen Werken“ eingesetzt, „die dem neuen Willen der Nation abträglich sein könnten“. Die dort aussortierten Bücher wurden an die Bibliotheken der Universität Hamburg und an die wissenschaftliche Stadtbibliothek weitergegeben.

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