Der durch sein Kriegstagebuch „Das Feuer“ (1918) berühmt gewordene Autor und politisch engagierte Intellektuelle Henri Barbusse verstand nach dem Ende des Ersten Weltkrieges die Ziele des Kommunismus als einzige Lösung für eine neue soziale Gesellschaftsordnung und setzte sich früh gegen den zunehmenden Aufstieg des Faschismus ein.
In seiner aufklärerischen Schrift „Die Henker“, die 1927 im Stuttgarter Verlag Öffentliches Leben erschien, beschreibt Barbusse seine Eindrücke, die er auf einer Reise im Jahr 1925 als Mitglied einer Untersuchungskommission der Internationalen Roten Hilfe auf den Balkan sammelte. In dieser Zeit wütete dort der sogenannte Weiße Terror, d.h. gewaltsame Maßnahmen durch nationale Kommandos gegen revolutionäre Bewegungen, die nach dem Ende des Ersten Weltkrieges in Ländern wie Rumänien, Ungarn, Bulgarien und Jugoslawien verübt wurden. Barbusse berichtet genau und detailliert über diese Ereignisse und deckt mit seiner Schrift die dortigen Zustände für seine Leserschaft auf: „Die Balkan-Halbinsel leidet unter den durch die Frage der völkischen Minderheiten naturgemäß hervorgerufenen Zwistigkeiten. Die Verträge, die nach dem Kriege von 1914 gemacht worden sind, und durch welche die Grenzen aller dieser verschiedenen Länder geändert worden sind, haben zum Vorteil der einen und zum Nachteil der anderen ganze Landesteile abgeschnitten, die nunmehr der Gegenstand sich untereinander bekämpfender Irredentismen und heftiger ‚Entnationalisierung‘ sind.“ (S. 86).
In seinem Vorwort für die deutsche Ausgabe macht Barbusse deutlich, worum es ihm geht: „Es handelt sich um eine Frage der Gerechtigkeit [keine Parteifrage], nicht abstrakter Gerechtigkeit oder Wortgerechtigkeit, sondern um die Frage einer sehr lebendigen und erschütternden Gerechtigkeit. Es handelt sich um das Recht, das sich eine despotische Minderheit angemaßt hat, mit der Freiheit, mit dem Leiden und mit dem Leben der anderen nach Belieben zu schalten.“ (S. 8). Er berichtet von den widrigen Umständen vor Ort zu reisen und mit den Menschen zu sprechen, unentwegt wird die Kommission bei ihrer Recherche gestört: „Die arbeitenden Klassen, mit denen ich wiederholt in Berührung gekommen bin, ebenso wie gewisse hervorragende Intellektuelle und Journalisten der linksgerichteten Presse haben das von uns in Angriff genommene Projekt mit vollkommener Sympathie und ohne Hintergedanken betrachtet. Aber ein anderer Teil der Presse, eine nationalistische und konservative Minderheit, hat dieses Recht der Angehörigen eines anderen Landes, in die ‚nationalen Angelegenheiten‘ hineinzusehen und sie zu untersuchen, bekämpft und bekämpft es noch heute […]“ (S. 12f.).
Barbusse wirft einen genauen Blick auf die Regierungen, „die nicht aus den Nationen und Völkern hervorgegangen sind, die sich nur durch künstliche Mittel erhalten: durch Polizeigewalt sowie durch militärischen und gerichtlichen Terrorismus, […]“ (S. 25) und konkretisiert: „Welches aber sind die Tatsachen, die wir klarzustellen beabsichtigt haben? Es handelt sich um Ereignisse anläßlich der militärischen Okkupation, um die Handlungen und die Haltung von Richtern und Polizeibeamten, um die Behandlung, die man Gefangenen angedeihen läßt; es handelt sich um Metzeleien und Meuchelmorde. Das sind Dinge, welche die Öffentlichkeit angehen – sie sind es sogar in dem Maße, daß sie der Geschichte angehören. Sie gehen alle an.“ (S. 14). Die Geschehnisse müssen ans Licht kommen, in die Öffentlichkeit, denn: „[…]: Dort unten geht eine niederträchtige Ungeheuerlichkeit vor sich, die ungeachtet des demagogischen Geredes, mit dem sie prunkt, nichts als eine gewaltige Organisation des Meuchelmordes ist.“ (S. 21).
Barbusse stellt nachdrücklich klar, dass: „In allen Balkanländern, zu denen man in dieser Hinsicht wie in mancher anderen auch Ungarn zählen kann, haben die Machthaber ein Gesetz zur ‚Sicherheit des Staates‘ in Kraft gesetzt. Die rumänischen, bulgarischen, jugoslawischen und ungarischen Gesetze zur Sicherheit des Staates haben sozusagen alle denselben Typus. Sie geben den bestehenden Gewalten alle Mittel zur Ergreifung und Niederschlagung derer, die sich nicht zu genau den gleichen Ansichten bekennen, welche die herrschende Richtung hat.“ (S. 32f.) und führt aus, dass es zu wahllosen und unbegründeten Verbrechen kommt: „Wie ich gesagt habe, ist man in den Balkanländern Zeuge der tatsächlichen wilden Ausmerzung aller der Menschen, die in der Bauernpartei und in der kommunistischen Partei, bevor diese außerhalb des Gesetzes gestellt worden war, eine Rolle gespielt haben, ebenso, wie der Vernichtung der ‚Verdächtigen‘, ferner der mit den proletarischen Ideen sympathisierenden aller Schattierungen und endlich derer, die danach streben, die Korporative Arbeitersolidarität zu organisieren.“ (S. 77).
Um seine Ausführungen und die Berichte, die er anführt, zu unterstreichen, zieht er einen Brief heran: „Ich bewahre wie einen Wertgegenstand ein armes kleines Stückchen Papier auf: einen Brief, den rumänische politische Gefangene, die, ich weiß nicht wie, von meiner Durchreise Kenntnis erhalten hatten, mir zukommen lassen konnten. Die Behandlung, welche diese Menschen erdulden, macht alle Einbildungskraft zuschanden, und dabei sind sie nur wegen ihrer als verbrecherisch betrachteten Ansichten angeschuldigt, ja es genügt, wie ich schon gesagt habe, daß sie im Verdacht stehen, mit den Gegnern der Regierung zu ‚sympathisieren‘. Ich gebe einige Zeilen dieses herzzerreißenden Appells wieder: ‚Die ‚Tabaksbehandlung‘ bis auf Blut mit Hilfe von Knotenstöcken und Ochsenziemern, das Ausreissen der Haare, das Schlagen des Kopfes gegen die Mauer, das Treten mit Füßen bis zur Bewußtlosigkeit, alle diese Dinge, von denen Sie gelesen haben, sind nichts verglichen mit dem, was wir im Sicherheitspolizeigewahrsam von … (ich unterdrücke den Namen) gelitten haben. Wir waren so gefesselt, daß die Knie das Kinn berührten, daß die Arme um die Knöchel gekreuzt waren und geknebelt …“ (S. 61f.).
Barbusse erweitert seinen Blick auf die einzelnen Länder und die verheerenden Ereignisse, die dort geschehen. Auch der Antisemitismus, der sich verstärkt in den Organisationen ausbreitet, wird von ihm u.a. anhand von Bulgarien näher betrachtet und dokumentiert: „Die Verfolgungen, deren Opfer die in den Balkanländern zur Zeit lebende Minderheit ist, haben in Bulgarien einen furchtbaren Umfang angenommen. Die Juden werden unter Todesdrohungen durch das mazedonische Komitee ausgeplündert. Unbekannte erschlagen in den Straßen der Städte die Juden und ihre Kinder, […]“ (S. 99). Barbusse plädiert für das unbedingte Zusammenstehen und fordert in seiner Schrift den gemeinsamen Widerstand gegen diese gewaltvollen und todbringenden Regierungen: „Eure Regierenden, die Diener der großen internationalen Geschäftsleute, sind Eure Feinde. Der internationale Faszismus ist zu gleicher Zeit die weiße Diktatur des Staates und die Ausbeutung der Arbeit. Sie stehen auf der anderen Seite der Barrikade. […] Eure Länder, das seid Ihr. Das Proletariat ist eins mit einem Land, ebenso wie die die Nahrung hervorbringende Erde selbst. Und das einzige wirkliche und feste Prinzip, das aus dem zeitgenössischen sozialen Chaos entspringt, ist die Solidarität des Proletariats. Alle Proletariate und das ganze Proletariat: Ihr Arbeiter, Bauern, und auch Ihr, ausgebeutete Angestellte oder Intellektuelle, und auch Ihr jungen Menschen in den Schulen, in denen das glühende jugendliche Gewissen des Volkes lebt.“ (S. 123).
Text: Katrin Huhn
Achtung! Diskriminierender Begriff auf der folgenden Seite: S. 82
Henri Barbusse, Die Henker, Stuttgart 1927, veröffentlicht in: Digitale Bibliothek verbrannter Bücher, <https://www.verbrannte-buecher.de/bibliothek/source-30> [03.11.2025].