Wolfgang Herrmanns Vorlagen und regionale Unterschiede

Hanskarl Leistritz, der Leiter des Hauptamts für Presse und Propaganda der Deutschen Studentenschaft, fügte einem Brief, der am 9. Mai bei den Einzelstudentenschaften eintraf, „Feuersprüche“ bei, die bei den Bücherverbrennungen laut verlesen werden sollten. Er forderte die Studenten explizit dazu auf, die Bücherverbrennungen nicht nur auf die in den Feuersprüchen erwähnten Autoren zu beschränken. Vielmehr könne „ein großer Haufen Bücher“ verbrannt werden, „die Veranstalter“, so hieß es weiter, „haben dabei jegliche Freiheit“. Zu diesem Zeitpunkt war der allergrößte Teil der zu verbrennenden Bücher bereits gesammelt. Herrmanns Liste war eher ein Orientierungsinstrument, allerdings ein wichtiges, weil es zur Grundlage der Büchersammelaktionen im gesamten Deutschen Reich wurde. Die Leihbüchereien, gegen die Schuster so gewettert hatte, sollten nach dem Willen Herrmanns nicht vorab von der Liste informiert werden. Durch ein „Versehen“ seines Kollegen Max Wieser, so Herrmann am 1. Mai an Leistritz, seien sie trotzdem früher in den Besitz der Liste gekommen. So bestand offenbar die Möglichkeit, Bücher frühzeitig dem Blick der Nazi-Studenten zu entziehen.

Das Sammeln der Bücher in den einzelnen Städten verlief teilweise sehr unterschiedlich. Bücher wurden eingesammelt und als „undeutsch“ aussortiert, an die Herrmann nicht gedacht hatte. In Halle ergänzten Studenten seine „Schwarze Liste“, indem sie in den Büchereien nach den am meisten entliehenen „jüdischen“, „marxistischen“ und „volkszersetzenden“ Autoren fragten. Unabhängig davon, was die Buchhändlerinnen und Buchhändler ihnen im Einzelnen gaben, entstand so ein „Vorläufiger hallischer Generalindex jüdischer, marxistischer, pazifistischer und anderer zersetzender Schriften“, zu denen die Autoren Heinrich Heine (1797-1856), Albert Ehrenstein (1886-1950), Frank Wedekind (1864-1918), Alfred Henschke alias Klabund (1890-1928), Carl Zuckmayer (1896-1977) und Hollaender (Felix (1867-1931) oder Friedrich (1896-1976)) gehörten, die sich bei Herrmann nicht finden.

Die Bonner Studentenschaft brachte in einem Schaukasten in der Universität eine Liste an, auf der sich neben den von Herrmann ausgewählten Autoren auch die Namen des österreichischen Feuilletonisten und Schriftstellers Alfred Polgar (1873-1955) und der Pädagogin, pazifistischen USPD-Poltikerin und später im linken Flügel der SPD organisierten Anna Siemsen (1882-1951) befanden, die selbst in Bonn studiert hatte und ab 1923 Honorarprofessorin in Jena war. Siemsen hatte wegen ihrer Unterschrift unter die Petition gegen die Amtsenthebung des Statistikers Emil Julius Gumbel ihre Professur verloren – jener Gumbel, der über die politischen Morde in der Weimarer Republik akribisch recherchiert und nachgewiesen hatte, dass Richter, Staatsanwälte und Polizei politische Morde von rechts mehrheitlich deckten. Im Bonner Schaukasten fanden sich ebenso die Namen des Malers und Schriftstellers George Grosz (1893-1959), des sozialistisch orientierten englischen Schriftstellers Herbert George Wells (1866-1946), des ehemaligen sozialdemokratischen Reichsinnenministers Carl Severing (1875-1952) und der marxistischen Historiker und Politiker Franz Mehring (1846-1919) und Arthur Rosenberg (1889-1943).

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