Maria Leitner, Hotel Amerika, 1930

Quellenbeschreibung

Die Werke der jüdischen Autorin, sozialkritischen Journalistin und überzeugten Kommunistin standen früh auf den „Listen schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ der Nationalsozialisten. Als sie 1933 Deutschland verlassen musste, reiste sie im Jahr 1938 noch ein letztes Mal mit österreichischen Personaldokumenten nach Deutschland, um über die Verhältnisse im Land zu berichten. Ihr Roman „Elisabeth, ein Hitlermädchen“, der 1937 in Fortsetzungen im Pariser Exil erschien, enthüllt die von der NS-Ideologie durchzogenen politischen und gesellschaftlichen Zustände in Deutschland.

Leitners moderner Reportage-Roman „Hotel Amerika“, der 1930 im Berliner Neuen Deutschen Verlag erschien, ist das Ergebnis ihrer Auftragsreise durch die USA in der Zeit zwischen 1925 und 1928. Sie arbeitete in etlichen Städten in mehr als 80 unterbezahlten Arbeitsstellen und verarbeitete hier ihre Erfahrungen. Die Perspektive von unten macht diesen Roman so bedeutsam, denn die Leserschaft trifft nicht, wie zunächst angenommen, auf die Gäste, sondern auf die unzähligen Mitarbeitenden des Hotels, die Tag für Tag versuchen über die Runden zu kommen. Eine von ihnen ist die junge Shirley, die gemeinsam mit ihrer Mutter im Hotel angestellt ist und dort seit mehr als sechs Jahren als Wäschemädchen arbeitet. Sie wünscht sich nichts sehnlicher als diesen Ort endlich verlassen zu können und ein gutes und sicheres Leben zu führen. Als sie am Morgen in dem beengten und überfüllten Zimmer aufwacht, lässt sie verlauten, dass sie noch am selben Tag das Hotel verlassen wird: „Und in dem Fahrstuhl, der in die Wäscherei fährt, der langsam hinabsinkt in die Tiefe, zu den erstickenden Dämpfen, denkt sie hoffnungsvoll: es ist heute zum letztenmal, zum letztenmal hinab, - morgen schon wird sie steigen …“ (S. 17).

Währenddessen sitzt ein junger deutscher Einwanderer namens Fritz beim Vorsteher und hofft auf eine Anstellung im Hotel mithilfe seines Freundes, der als Nachtwächter im Hotel arbeitet. „Er ist noch nicht lange in Amerika. Anfangs fand Fritz lohnende Arbeit in seinem Beruf als Dreher, Qualitätsarbeiter. In der Fabrik gab es bald Kämpfe. Die Arbeiter versuchten, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Fritz war ganz dabei. Die Arbeiter merkten, daß er etwas vom Organisieren verstand, - aber auch der Unternehmer! Er war der erste, der gefeuert wurde.“ (S. 37f.). Fritz wird in der Küche eingesetzt, in der alle ArbeiterInnen genauestens kontrolliert und beobachtet werden. Die Arbeitsbedingungen sind unzumutbar, es gibt kaum Sauerstoff, viel zu viele Menschen arbeiten in den unzähligen Räumen des Hotels. Die Angestellten und ArbeiterInnen essen hierarchisch getrennt voneinander: „Die Trennung erfolgt aber nicht nur nach der Stellung, sondern auch nach den Geschlechtern und der Rasse […]“ (S. 145). Und weiter: „Trotzdem atmet auch dieser Saal noch eine gewisse Vornehmheit im Vergleich zu dem folgenden, der Speiseanstalt für die Angestellten der niedrigsten Stufe. Hier essen die Scheuerfrauen, die Stubenmädchen, die Wäscherinnen, die Wäschereimädchen, natürlich nur die Weißen. […] Der Abwasch befindet sich in der Nähe der Speiseausgabe. Er weist keinerlei neue Errungenschaften auf. Vor ihm stehen vollkommen stumpf-müde Einwanderer, die noch kaum ein englisches Wort kennen. Hier fangen viele an, beim Abwasch.“ (S. 147). Die strenge Separierung der einzelnen ArbeiterInnen und Angestellten ist gewollt, so kann es zu keinen spontanen Zusammenkünften oder möglichen aufständischen Handlungen kommen.

Als alle bemerken, dass sie verfaulte Kartoffeln zum Mittag vorgesetzt bekommen, lehnt sich Shirley vor allen gegen den Direktor auf, ohne Erfolg. Die Mitarbeitenden haben sich noch nicht solidarisch zusammengefunden, um gemeinsam gegen die Verhältnisse aufzustehen und zu handeln: „Wenn es darauf ankommt, ihnen begreiflich zu machen, daß nur durch Ausdauer und Organisation etwas zu erreichen ist, rücken sie einfach aus. Das kommt davon, weil wir hier alle so provisorisch leben, und wenn wir auch fünfzig Jahre ein und dasselbe tun. Alle glauben, morgen beginnen sie was anderes, fahren womöglich zurück in die Heimat oder eröffnen ein Geschäft und werden reich. Keiner will es wahrhaben, daß er doch gezwungen wird, denselben Dreh sein ganzes Leben lang zu machen.“ (S. 156). Fritz ist beeindruckt von Shirley und spricht sie an: „Ich hätte dich kaum wiedererkannt, so anders hast du gesprochen als am Vormittag in der Küche. Wenn du lernen wolltest, könntest du viel für die Arbeitenden tun. Du könntest mithelfen, die Welt umzuwandeln. Es genügt noch nicht, zu wissen, daß es uns dreckig geht, wir müssen auch den Weg finden, es zu ändern.“ (S. 179f.). Shirley wünscht sich, dass sich etwas ändert, denn: „Sind sie sich nicht alle gleich, die vielen Mädchen, die sich plagen in der Wäscherei, in der Küche, in den Korridoren, in den Wolkenkratzern ringsum, - plagen für diese glänzende Statue, die wie ein Vampyr sich von allen Genüssen der Nerven und des Geistes, von den vielen Freuden, zu denen das Geld der Schlüssel ist, nährt!?“ (S. 243). Durch die Verzögerung in den Essensräumen gerät der Zeitplan des Hotels durcheinander und die Gäste beschweren sich zunehmend über noch nicht gereinigte Zimmer und ausbleibende Botengänge. Die bevorstehende große Hochzeit im Ballsaal lässt den Druck auf alle Bediensteten steigen.

Leitner beschreibt sehr deutlich und klar die großen Unterschiede im Umgang mit den Arbeitenden, denn als die Kellner geschlossen aufbegehren und mit einem Streik drohen, kommt man ihnen prompt entgegen: „Von der Direktion kam die Parole: Alles bewilligen. Die Kellner bekamen sofort ihre Zulagen ausbezahlt, man gab ihnen schnell ein anständiges Essen und versprach sogar Verhandlungen über die Union-Angelegenheit. Aber alle wußten, es war kein Friedensschluß, es war nur der Anfang des Kampfes.“ (S. 277f.). Shirley jedoch wird gekündigt, sie verlässt das Hotel noch am selben Tag. An ihrer Seite ist Fritz, der ihr helfen und sie bilden wird. Sie verabschiedet sich voller Zuversicht auf die Zukunft mit den folgenden Worten: „Einmal wird das alles uns gehören, aber bis dahin müssen wir schwer kämpfen. Was tut es? Ich bin ja jung und das ganze Leben steht noch vor mir.“ (S. 314).

Text: Katrin Huhn

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Empfohlene Zitation

Maria Leitner, Hotel Amerika, Berlin 1930, veröffentlicht in: Digitale Bibliothek verbrannter Bücher, <https://www.verbrannte-buecher.de/bibliothek/source-21> [01.05.2025].