Regierungshandeln in der sozialen Krise der Weimarer Republik 1930-1933

Nach dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise im Herbst 1929 war die Regierungskoalition aus SPD, Zentrum, Deutscher Volkspartei (DVP) und Deutscher Demokratischer Partei (DDP) Ende März 1930 an der Frage des Umgangs mit der Arbeitslosenversicherung zerbrochen. Die Präsidialregierung unter Heinrich Brüning (Zentrumspartei) 1930-1931, war der Forderung der Arbeitgeberverbände nachgekommen und hatte die Leistungen der erst im Juli 1927 eingeführten Arbeitslosenversicherung deutlich reduziert. Erst im Dezember 1929 hatte die im Parlament stimmenstärkste SPD eine Erhöhung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung mit beschlossen, und zunehmend bildete sich eine linke Opposition innerhalb der SPD gegen den weiteren Sozialabbau. Paul von Hindenburg ernannte daraufhin Heinrich Brüning (1885-1970) zum vorläufigen Reichskanzler, der dem rechten Flügel des Zentrums angehörte und bereits in den revolutionären Nachkriegskämpfen 1919/1920 gegenüber den christlichen Gewerkschaften die Position vertreten hatte, die Interessen des Deutsches Reichs und der Industrien seien mit denen der Arbeiter identisch.

Mit Brüning wurde eine rigide Deflations- und Sparpolitik durchgeführt, etwa mit einem forcierten Abbau der Leistungen der Sozialversicherungen sowie einer Kürzung der Löhne im öffentlichen Dienst. Sein Programm, mit dem er der Krise begegnen wollte, lag ganz auf der Linie des Reichsverbands der Deutschen Industrie (RDI). Da Brüning am 16. Juli 1930 im Parlament keine Mehrheit für dieses Programm erhielt, dekretierte er es unter Missbrauch des Artikels 48 der Weimarer Verfassung per Notverordnung einfach erneut. Diesem Verfassungsbruch angemessen – der Artikel 48 war für politische, nicht für aber wirtschaftliche Krisen vorgesehen – stellte die SPD einen Aufhebungsantrag der Notverordnungen, für den der Reichstag mehrheitlich am 18. Juli stimmte. Dies hinderte Brüning nicht daran, die Notverordnungen in leicht veränderter Diktion einfach erneut zu dekretieren. Dies war ein Staatsstreich, der auch deshalb nicht verhindert werden konnte, weil die beiden großen Arbeiterparteien, SPD und KPD, nicht zu gemeinsamen Aktionen zur Verteidigung der Weimarer Verfassung – Generalstreik oder Demonstrationen – aufriefen. Die KPD lehnte in dieser Zeit eine Einheitsfrontpolitik für Demonstrationen und Streiks zusammen mit der SPD mehrheitlich ab. Diese wiederum vertröstete ihre Wähler auf die kommenden Wahlen im September, in der Hoffnung, sie würden Brüning für seine offen antidemokratische und unsoziale Politik die ›Rechnung‹ präsentieren.

Doch der große Gewinner der Septemberwahl 1930 wurde die NSDAP. 6,4 Millionen Wähler wählten die nun zweitstärkste Partei. Das bedeutete im Endergebnis auf 18,3% und sie erhöhte ihre Reichstagsmandate somit von 12 auf 107. Nun tolerierte die SPD das Kabinett Brüning I und seine von den Arbeitgeber- und Industrieverbänden geforderte Politik. Dies bedeutete in der Umsetzung Notverordnungen, die das Parlament weitgehend entmachteten und einen weiteren Rückbau der sozialen Leistungen. Eine Notverordnung vom 5. Juni 1931 beschloss die Kürzung der Gehälter im öffentlichen Dienst, der Renten und erneut der Arbeitslosenunterstützung. Die Massensteuern wurden vier Monate später erhöht. Grund- und Hausbesitzer dagegen erhielten Steuererleichterungen; große Konzerne wurden durch die Reichskasse mit Milliardenprogrammen wie dem Ankauf der Aktien der Gelsenberg-AG sowie des Flick-Konzerns saniert. Auch zusammengebrochene Großbanken, etwa die Darmstädter und Nationalbank, erhielten Milliarden aus der Reichskasse, ohne dass sie auch nur anteilig vergesellschaftet wurden. Auf diesem Weg wurden die sozialen Errungenschaften der Arbeiterbewegung Stück für Stück abgebaut und im Ergebnis polarisierte sich die Vermögens- und Einkommensverteilung erheblich. Der später propagierte vermeintliche Weg aus der Krise durch eine verstärkte Aufrüstung in der Kombination mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im Straßenbau wurde bereits mit Brüning deutlich eingeschlagen.

Sowohl hinsichtlich der Steigerung der Aufrüstung als auch bei der Senkung der Löhne und Gehälter handelt es sich um eine Politik, die im Faschismus ab 1933 auf die Spitze getrieben werden würde. Denn obwohl der Höhepunkt der Krise im Jahr 1933 bereits überwunden war, sanken die Reallöhne der Arbeiterinnen, Arbeiter und Angestellten weiter. Zwar stiegen die nicht tarifgebundenen Bruttowochenlöhne um einige Mark an, aber gleichzeitig erhöhte sich die Arbeitsintensität und damit einhergehend nahmen Arbeitsunfälle und –ausfälle zu. Der Arbeitstag wurde verlängert, die Mehrwertrate, der Ausbeutungsgrad der Arbeitskraft erhöhte sich, so dass die Konzerne – nicht nur die der Rüstungsindustrie, die von der Kriegsvorbereitung unmittelbar profitierten – hohe Gewinne erzielten. Selbst die Tariflöhne stiegen im Unterschied zu anderen europäischen Ländern ab 1933 nicht mehr, sondern behielten das niedrige Niveau, in das sie in der Krise gedrückt worden waren. 1937 würde das Tariflohnniveau sogar unter das der Krise von 1929 bis 1932 sinken.

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